3.Religion und Politik :
Unser Welt von heute wird beherrscht von Strukturen wirtschaftlicher und politischer Unterdrückung, die die Privilegien einiger weniger zu Lasten der Massen festschreiben wollen. Solange ethische Werte nicht in die Politik zurückfinden, wird es keine Hoffnung auf einen Weltfrieden geben.
Religion wird heute von vielen Menschen als Bedrohung empfunden, gerade dann, wenn sie auf politischer Ebene in Erscheinung tritt. Im Islam spielt die Politik eine entscheidende Rolle. So gilt es im Folgenden, der Frage nachzugehen, ob nicht schon Religion in ihrem Ansatz Politik beinhaltet, ja ob Politik und Religion als Einheit zu sehen sind.
3.1. Keine Gottheit außer Gott
Im Islam ist die Welt nur einer Macht unterstellt. Der Mensch sieht sich, seine Gesellschaft und seine Umwelt als Teil einer allumfassenden zielgerichteten Ordnung, die von einer Kraft durchströmt wird, die alles geschaffen hat und aufrechterhält.
Die Weltanschauung der Einheit hat zwei Aspekte : einen verneinenden und einen bejahenden. Zunächst werden alle Götzen, die Anstelle Gottes verehrt werden - Idole, Geld, Macht, Position usw. - verworfen; dann folgt die Bejahung, daß alles außer Gott vergänglich und nichtig ist. Niemandem soll sich der Mensch unterwerfen, keinem Zwang ausliefern und nur Gott gehorchen.
3.2. Kampf gegen Ungerechtigkeit In der Geschichte hat es Bewegungen gegeben, die eine gerechte Ordnung anstrebten :
Erzieherische Bewegungen, die den Menschen aufzeigen, was gut und böse ist. Sie erschöpfen sich aber in der Beschreibung menschlicher Ideale. Wenngleich sie ein Idealbild der Gesellschaft entwerfen, sind sie letztendlich nicht in der Lage, diese Ideal umzusetzen. - Reformistische Bewegungen, die ihre Ziele klar umreißen und sich für deren Verwirklichung einsetzen.
Dabei berühren sie aber nicht die bestehenden Ordnungen. Um ihren Fortbestand sicherzustellen, gehen sie schließlich Kompromisse ein und neigen längerfristig dazu, ihre Ziele aus den Augen zu verlieren.-Revolutionäre Bewegungen, die sich dem herrschenden System mit einem klaren Programm und einer klaren ideologischen Grundlage widersetzten. In ihrem Kampf gegen die ungerechten Ordnungen scheuen sie keine Opfer, ihr Ideal einer gerechten Gesellschaft zu verwirklichen.
Die Bewegungen aller Propheten sind revolutionär: zwar verfolgen sie erzieherische und reformerische Ziele, gehen aber darüber hinaus und treten ein für die Beseitigung ungerechter Strukturen : anstelle korrupter Systeme soll eine menschliche Ordnung errichtet werden.
Immer dann, wenn die Ungerechtigkeit ihr Maximum erreicht, treten die Propheten in Erscheinung. Sie öffnen den Menschen die Augen, geben ihnen ein neues Bewußtsein und befreien sie von falschen Vorstellungen. Ihr Ziel ist die Gründung einer neuen, gerechten Gesellschaft. Dafür sind sie bereit, zu kämpfen :
*Und was ist mit euch, daß ihr nicht kämpft für die Sache Gottes und für die unterdrückten Männer, Frauen und Kinder, die sprechen : Unser Herr, führe uns heraus aus dieser Stadt, deren Bewohner Unterdrücker sind, und gib uns von Dir einen Helfer.* (Sure 4, Vers 75 )
Die größten Gegner der Propheten sind die ungerechten Herrscher gewesen. Gott schickte jedem Volk einen Propheten mit dem Auftrag, die Übertreter zu warnen :
*Wir haben für jedes Volk einen Gesandten erscheinen lassen (mit der Botschaft) : dienet Gott allein und beseitigt die Tyrannen.* ( Sure 16, Vers 36 ).
Die Propheten lehren nicht, sich Gott nur innerlich hinzugeben, sich nach außen aber anderen Menschen und Zwängen zu unterwerfen. Wären sie dann wirklich verfolgt worden, wenn sie nur einen inneren Weg gepredigt hätten ?. Hätte Nimrud den Propheten Abraham dann ins Feuer werfen lassen oder allgewaltige Pharao den Propheten Moses bekämpft ?.
Hätten die Römer die Hinrichtung Jesu geplant und Nero die ersten Christen ermordet ?. Die Propheten haben nämlich nicht nur den Weg der "Erleuchtung des Herzens" gepredigt, sie sind ebenso aktiv für die soziale Gerechtigkeit eingetreten. Sie riefen die Menschen zur Dienerschaft des einen Gottes auf und befreiten sie von den Fesseln des falschen Gehorsams.
Es mag verwundern, wenn wir den Begriff Politik (arabisch : Siyasa ) im Qur'an vergeblich suchen. Heißt das aber, dass der Islam nichts mit Politik zu tun hat ?. Ein Überblick über das quranische Begriffssystem zeigt, wie sehr hier Glaube und Politik verbunden sind.
So finden wir im Qur'an unter anderem die Begriffe Regierung (Hukm), Partei (Hizb), Führer(Imam), Gemeinschaft (Umma), Autoritäten (Ulu-l-amr ), Verantwortung (masula), Recht (haqq), Pflicht (Taklif) usw.
Politik wird im Islam als sinnvolle Regelung der Angelegenheiten der Gemeinschaft verstanden : die Angelegenheiten des Individuums, seine Beziehung zu anderen Menschen, das Verhältnis zwischen Volk und Regierung und zwischen der islamischen und anderen Gesellschaften sollen im Geiste des Glaubens geregelt werden. Das Ziel des Islam ist die Vervollkommnung des Menschen.
Diese Hinführung zu Gott kann aber nur in einem Gesellschaftlichen Rahmen stattfinden, der die Ausübung der "Hingabe an den einen Gott" ermöglicht. Die Gesellschaftsordnung soll mit den natürlichen Anlagen des Menschen in Einklang stehen.
Politik wird hier nicht im Sinne eines machtpolitischen Taktierens oder der Anwendung von Gewalt verstanden. Politik soll die Verwirklichung des göttlichen Gesetzes garantieren und Harmonie unter den Menschen schaffen.
Die politische Ordnung in einem islamischen Staat wird von einer übergeordneten Wahrheit geprägt. Es handelt sich nicht um eine Ordnung, die die "Wahrheit" formuliert, wie sie sie versteht. Die eigentliche Herrschaft über die Welt wird von ihrem Schöpfer und Erhalter ausgeübt.
Die Menschen tragen die Verantwortung, mit der Welt in Seinem Sinne umzugehen. Sie sind Teil einer allumfassenden Ordnung, in der Religion - jener Weg zu Gott und zur Vervollkommnung des Menschen- und Politik - die harmonisierende Regelung der gesellschaftlichen Angelegenheiten - eine untrennbare Einheit bilden.
Nur wenn die Religion Gottes wieder Einzug in die Politik findet, werden die Menschen gemeinsam die immer bedrohlichere Weltsituation meistern können.
Unsere Zeit ist ausgeprägt von einer rein materialistischen Weltanschauung. Die Negation der spirituellen Werte hat die Menschen in eine gefährliche Sackgasse geführt : bedrohliches Wettrüsten, sowohl auf der Erde als auch im Weltraum, eine Weltordnung, die dem einen Teil der Menschheit Überfluß und dem anderen Hunger und Elend bringt, fortschreitende Umweltzerstörung usw. Dies alles ist Ausdruck der Gottesferne des heutigen Menschen und seiner mangelnden Bereitschaft, Verantwortung für die Schöpfung zu tragen, sowohl auf der persönlichen als auch auf der soziopolitischen Ebene. Allerdings beginnen viele Menschen auch wieder, den wahren Zweck ihres Daseins auf dieser Erde zu begreifen und nach Auswegen aus dem materialistischen Dilemma zu suchen.
Der Weg, der zum Frieden ( arabisch : salam ) führt, heißt auf arabisch Islam, d.h. Hingabe an den Einen Gott mit dem Versuch, unser Leben in Einklang mit Seinen Geboten zu bringen und dadurch in Harmonie mit uns selbst und mit anderen Geschöpfen zu leben, in Dankbarkeit gegenüber dem allgegenwärtigen Gott und dem Bewußtsein Seiner Anwesenheit :
"Wahrlich, im Gedanken Gottes finden die Herzen Frieden." (Sure 13, Vers 28 ).
Erst innerer Frieden kann zu äußerem Frieden führen. Menschen, die ihre Verbindung zu Gott aufrechterhalten, sind zu friedlichen zwischenmenschlichen Beziehungen fähig.
4.2. Frieden durch Gerechtigkeit
Frieden ist nur auf der Grundlage von Gerechtigkeit möglich. Die Schaffung von Gerechtigkeit ist das Ziel aller Propheten gewesen :
"Wahrlich, Wir (Gott) sandten unsere Gesandten mit klaren Beweisen und mit ihnen das Buch und die Waage herab, auf dass die Menschen Gerechtigkeit verwirklichen." ( Sure 57, Vers 25 ).
Die gläubigen Menschen sollen ihre Egoismen überwinden und stets für die Gerechtigkeit eintreten :
"O ihr Gläubigen, seid standhaft in der Gerechtigkeit und wahrhafte Zeugen vor Gott, sei es wider euch selbst, eure Eltern und nahen Verwandten; Arm oder Reich, Gott ist beiden näher als ihr. Folgt nicht euren Begierden, damit ihr gerecht handeln könnt. Wenn ihr ( die Wahrheit ) auch verhehlt oder ihr ausweicht, so hat Gott doch bestimmt Kunde darüber, was ihr tut." ( Sure 4, Vers 135 )
Frieden schaffen ist unsere alle Aufgabe. Nur wenn wir alle folgendes realisieren, kann sich eine konstruktive Zusammenarbeit im Dienste des Friedens entwickeln :
Gesellschaft menschlicher gestalten. Dazu bedarf es dem andersartigen gegenüber Toleranz und Achtung. Vor allem sollten wir jedem seine individuelle kulturelle und religiöse Identität zugestehen und die Menschen als gleichwertige Mitglieder einer großen Familie anerkennen.
Zusammenhänge erkennen zwischen Armut und Elend von Millionen von Menschen und dem materiellen Wohlstand und Fortschritt der Industrienationen; das verlangt ein gesteigertes Bewußtsein für die Probleme der Menschen in den Ländern der "Dritten Welt".
Eurozentrismus überwinden, d.h. uns nicht länger im Mittelpunkt des Weltgeschehens sehen. Wir dürfen die Forderung nach Frieden und Gerchtigkeit nicht auf unseren Lebensraum begrenzen. Denn gerade dort, wo Unfrieden mit militärischen Mitteln gestiftet wird, müssen wir aktiv für Frieden eintreten. Strukturelle Gewalt entwürdigt den Menschen ebenso wie physische Gewalt, und im Quran heißt es dazu :
"Unterdrückt nicht und laßt euch nicht unterdrücken." ( Sure 2, Vers 279 ).
Mit Unterdrückern kann es darum ebensowenig Frieden geben wie mit Aggressoren.
Feindbilder abbauen, die uns täglich von den Massenmedien geliefert werden, Feindbilder schüren Haß, trennen die Völker und verhindern Verständigung.
Waffenexporte verhindern. Die eigentlichen Nutznießer militärischer Konflikte sind internationale Rüstungskonzerne. Durch gezielte Waffenlieferungen sichern sich die Großmächte ihre strategischen, politischen und militärischen Interessen in der Welt.
Umweltschäden entgegenwirken. Dies ist nur durch eine tiefgreifende Veränderung unseres Verhaltens und Bewußtseins möglich. Wir sind nicht die Herren dieser Erde, sondern von ihrem Schöpfer als Statthalter eingesetzt, um sie zu bebauen und zu bewahren.
Verantwortung nach ethischen Werten ausrichten. Die Trennung der politischen Entscheidungsbefugnis und ethischem Empfinden bzw. religiösem Bewußtsein hat maßgeblich zur weltweiten Krise beigetragen, in dem sich Politiker mehr an Sachzwängen orientieren als an ihrem Gewissen.