"Jihad" nicht Heiliger Krieg
Von : Muhammad Moghaddam
Im Namen Gottes, des Gnädigen, des Barmherzigen!
Vorwort
»Jihad«*, ein arabisches Wort, das für die »permanente Auseinandersetzung des Gläubigen mit dem Bösen in der Welt« steht, wird bis zum heutigen Tag irrtümlich dem Begriff »Heiliger Krieg« gleichgesetzt.
Es ist unser Anliegen, diese Polemik des Abendlandes an einem zentralen islamischen Begriff zu entkräften, um ein Vorurteil zu beseitigen, das in schlimmer Weise auch für die Politik des Neokolonialismus mißbraucht wurde. Vielfach wurde und wird versucht, die islamische Lehre dadurch zu entstellen, daß ihre äußeren Aspekte zwar beibehalten, ihre eigentlichen Inhalte aber verschwiegen oder sogar gänzlich ihres Sinnes beraubt werden: so wird beispielsweise »Jihad« - dieses allumfassende Ringen um Gerechtigkeit und Wahrheit- als »Heiliger Krieg« mißinterpretiert. Ferner soll gezeigt werden, daß der Islam eine Religion des Friedens ist, wie sich die Begriffe »Islam« und »Salam«, Friede, auch von derselben arabischen Wurzel herleiten lassen. Damit liefert die vorliegende Broschüre einen Beitrag zur aktuellen und weltweiten Friedensdiskussion aus muslimischer Sicht und versucht, von einem großen historischen Mißverständnis zur Beantwortung der allgemeinen Friedensfrage zu kommen, um damit den Beweis für die im Islam enthaltene lebendige Kraft zur Sicherung, Erhaltung und Verwirklichung des Friedens zu leisten. Das Prinzip »Jihad« basiert auf der Menschlichkeit und stellt eine sinnvolle Alternative zu dem extrem eigennützigen Politisieren in Ost und West dar.
Die vorliegende Broschüre ist aus einer Serie von Freitagsansprachen entstanden und versucht, sich mit dem vielschichtigen Begriff »Jihad« aus verschiedenen Blickwinkeln auseinanderzusetzen. Für die Bemühung im Zusammenhang mit der Bearbeitung der Broschüre danke ich allen Beteiligten und wünsche ihnen weiterhin Gottes reichen Segen. Muhammad Moghaddam Imam des Islamischen Zentrums Hamburg, Zul Hijja 1404, September 1984
»Jihad«: Das in der Umschrift verwendete »J« in den arabischen Begriffen ist im Deutschen wie ein »dsch« zu verwenden.
Begriffserklärung
»Jihad« beim Wort genommen
Der Begriff »Jihad« stammt von der arabischen Wurzel »Jahd«, d.h. Mühe, Mühsal. Im Islam meint»Jihad« die»permanente Auseinandersetzung des Gläubigen mit den Bösen in der Welt«. Wir können die Bedeutung von »Jihad« jedoch solange nicht begreifen, ehe wir uns nicht über ein anderes wichtiges islamisches Prinzip im klaren sind, was mit »Jihad« in enger Verbindung steht: nämlich »Salam« - Frieden. Frieden ist eine der höchsten Maximen im Islam, was schon am Namen dieser Religion deutlich zu erkennen ist. So entspringen die Begriffe Islam und Salam derselben arabischen Sprachwurzel.
Zahlreiche Überlieferungen des Propheten Muhammad (Friede sei mit ihm) behandeln den Begriff »Frieden«:
» Wahrlich, Gott hat den Frieden zum Gruß unserer Gemeinschaft und zur Sicherheit für all diejenigen gemacht, die unseren Schutz genießen.«
Ferner sagte der Prophet: »Frieden hat Vorrang vor dem Wort!«
Der erste Kontakt zwischen den Gläubigen soll daher immer mit Frieden beginnen.
Zahlreiche Qur'anverse behandeln das Thema Frieden. Beispielhaft sei hier erwähnt, was die Gläubigen als Folge ihres gottergebenen Handelns in dieser Welt dereinst im Paradies erwarten wird: »Nicht hören werden sie darin sinnloses Geschwätz noch Schandhaftes, sondern nur das Wort Frieden, Frieden!« (Sure 56, 25-26)
Darüber hinaus ist folgender göttlicher Aufruf von permanenter Gültigkeit:
»Und Gott ruft auf zur Stätte des Friedens...!« (Sure 10, 25)
Warum aber hat das Prinzip Frieden im Islam solch eine große Bedeutung?
Die Religion des Islam will die Menschen immer zum Frieden führen. Wenn also der Quran das Prinzip Jihad, d.h. diese Auseinandersetzung des Gläubigen mit dem Bösen bekräftigt, so nur deshalb, weil dadurch Frieden verwirklicht werden soll! Nur aus diesem Grund ist im Rahmen von Jihad auch der Kampf gegen jene Menschen zulässig, die den Frieden unter den Menschen stören, Unheil stiften und die Menschen ihrer Freiheit berauben. Jihad ist jedoch niemals ein für sich alleinstehendes Ziel. Es ist lediglich ein Mittel, um Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden unter den Menschen zu begründen.
»Jihad« bezieht sich auf den Kampf des Menschen mit den Faktoren des Bösen, d. h. auf sein permanentes Ringen auf individueller, gesellschaftlicher, wissenschaftlicher, politischer und wirtschaftlicher Ebene um eine Veränderung hin zum Guten. Daher kann »Jihad« auch nicht als heiliger Krieg übersetzt werden, denn dies würde die weite Bedeutung des Begriffes völlig einengen und verfälschen.
Jihad ist mit einem bestimmten Ziel verbunden: die »ständige Auseinandersetzung des Gläubigen« findet auf dem Wege Gottes (arabisch »fi sabilillah«) statt:
jemand, der eine andere Zielsetzung als Gott besitzt und nicht die Verwirklichung der göttlichen Grundsätze bei der Ausübung von Jihad anstrebt, wird diesem Prinzip nicht gerecht werden können. Eine Überlieferung (Hadith) berichtet:
»Prophet Muhammad wurde einmal gefragt, was mit demjenigen geschehen werde, der sich um der Belohnung willen anstrengt. Daraufhin antwortete der Gesandte Gottes: »Er wird nichts erreichen!«
Der Mann, der seine Frage dreimal wiederholte, bekam immer wieder dieselbe Antwort: »Er wird nichts erreichen!-... denn Gott wird keine Handlung akzeptieren, es sei denn, sie würde mit aufrichtigem Herzen und um seine Zufriedenheit zu erlangen, ausgeführt!«
»Jihad-ul Akbar« - Kampf gegen das Ego
»Jihad«, diese Auseinandersetzung des Gläubigen mit den Faktoren des Bösen hat nichts anderes zum Ziel, als Gott und die Annäherung an Ihn, die höchste Norm des Daseins. Jihad wird grob in zwei Bereiche eingeteilt: in den Kampf des Menschen gegen sein Ego (arabisch »Jihadun-Nafs«) und in die verschiedenen Formen des Widerstreits zwischen den Gläubigen und den Faktoren, die Wahrheit und Gerechtigkeit zu beseitigen versuchen.
Der erste Bereich stellt im Gegensatz zum zweiten eine immer gültige Verpflichtung des Gläubigen dar. Denn der Islam sieht das Innere des Menschen als einen Schauplatz des fortwährenden Kampfes zwischen Gut und Böse, zwischen Wahrheit und Unwahrheit an. Zwar unterstellt der Islam die Herrschaft der Welt nur einer Größe, nämlich Allah, demgegenüber keine andere Macht treten kann; doch das Innere des Menschen stellt die Szenerie eines ständigen Widerstreits zwischen allem Guten, Positiven, Schönen und allem Unrechten, Verwerflichen und Bösen dar.
Deshalb bedeutet »Jihadun-Nafs«, der Kampf gegen das Ego, eine immerwährende Anstrengung des Menschen, die negativen Elemente, Einflüsterungen des Bösen und Begierden zu überwinden und die positiven Neigungen zu fördern, damit der Mensch seine moralische, glaubensmäßige und menschliche Vollkommenheit erreichen kann.
Der eigentliche Feind des Menschen ist der Mensch selbst. Die negativen Auswüchse des Daseins, die feindseligen und unterdrückerischen Tendenzen des Menschen sind im Fehlen seiner Selbstvervollkommnung begründet. Daher sprach der Prophet des Islam folgende Worte:
»Bekämpft eure Begierden und Lüste in eben solchem Maße, wie ihr eure Feinde bekämpft.«
Er hat die Bedeutung dieser Form des »Jihad« gegen das Ego als größer bezeichnet als den »Jihad« gegen die Feinde des Islam: »Als eine Gruppe von Muslimen von einer Schlacht zurückkehrte, sprach der Prophet: >Seid willkommen, die ihr den kleinen Jihad ausgeführt habt. Es soll euch Wohlergehen. Dennoch bleibt der große Jihad für euch bestehend Daraufhin fragten sie den Propheten, was er denn mit >großer Jihad< (Jihad-ul Akbar) meinte. Der Prophet antwortete: >Es ist der Kampf gegen das Ego und die Begierden des Menschen !«
Der Islam will also das göttliche Element im Menschen fördern, damit sich der Mensch vom Gefängnis seiner Begierden befreie. Sind nicht die Aufrüstung in Ost und West, die sich ausbreitenden Konflikte und Kriege, die immer größere Bedrohung eines atomaren Untergangs, usw. Ausdruck der Selbstsucht des Menschen? Wir müssen uns im klaren sein, daß der Islam einerseits die Läuterung der Seele des Menschen betont, andererseits jedoch niemals einen Rückzug vom gesellschaftlichen Leben akzeptieren würde. »In der Religion des Islam existiert keine Weltflucht und kein Asketentum! Das Asketentum meiner Gemeinde ist vielmehr der Jihad!« (Prophet Muhammad) Der Islam sagt nicht, wir sollen nur uns selbst verbessern, dann wird alles andere gut!
Mit dem ständigen Kampf gegen das Ego und der Läuterung des Herzens sollen auch die Wurzeln des gesellschaftlichen Unheils, der Unterdrückung und Ungerechtigkeit beseitigt werden, damit sich die Ummah (die islamische Gemeinschaft) in Richtung eines gesunden Individuums als auch einer gesunden Gesellschaft entwickeln kann.
Der Ausdruck »Heiliger Krieg«, der häufig von Nichtmuslimen als Übersetzung von »Jihad« verwendet wird, entstellt die eigentliche Bedeutung dieses wichtigen islamischen Prinzips. Die weitverbreitete Bezeichnung »Heiliger Krieg« ist derart verwirrend und falsch, daß kaum angenommen werden kann, daß sie aufgrund von Unwissenheit geprägt worden ist. Obwohl der Begriff »Jihad« - d.h. »die permanente Auseinandersetzung des Gläubigen mit den Faktoren des Bösen, um das Gute in der Welt zu verwirklichen« - eine positive Aussage beinhaltet, ruft der Ausdruck »Heiliger Krieg« fast zwangsläufig eine negative Grundhaltung bei den Menschen hervor: sofort wird angenommen, der Islam sei eine kriegerische Religion, die sich mit Gewalt ausbreite und den Krieg als Mittel zur Durchsetzung ihrer Ziele gutheiße! Im Grunde soll damit und mit ähnlichen Mißdeutungen islamischer Begriffe eine Abneigung gegen den Islam, die »Religion des Friedens« erzeugt werden.
Jihad unvereinbar mit Krieg
Lesen wir den Quran, dann stellen wir fest, daß hier für Krieg ein anderer arabischer Begriff gebraucht wird, nämlich »Harb«. Die schöpferische Weisheit will uns damit klarmachen, daß ein großer Unterschied zwischen Krieg und »Jihad« besteht. Die Ziele des Krieges sind fest umrissen und die Mächte, die Krieg führen, gehen fast immer von denselben Motiven aus: es geht ihnen um Ausweitung ihrer Einflußsphäre, um territoriale Expansion, um Ausbeutung von Rohstoffen und natürlichen Ressourcen anderer Völker oder einfach um Verwirklichung rassistischer Ideen. Jihad jedoch ist nicht nur in keinem Fall mit diesen niederen Beweggründen zu vereinbaren, sondern möchte eben diese Motive, die zu Kriegen führen, beseitigen.
Jihad ist die ständige Auseinandersetzung des Individuums und seiner Gesellschaft mit Unwahrheit und Ungerechtigkeit, um die hohen Ziele des Islam zu verwirklichen und sich dem Göttlichen anzunähern. Durch Jihad soll Glaube, Wahrheit und Gerechtigkeit in der Welt begründet werden, damit schließlich Frieden geschaffen werden kann. Dies geschieht zum Beispiel durch das gesprochene und geschriebene Wort, durch den »Aufruf zum Islam« (arabisch »Da'wa«), durch den Einsatz von Zeit und Energie, durch das Opfern des Eigentums und schließlich des Lebens.