Der Morgen bricht über den trostlosen Sand Kerbalas an. Was gestern noch ein Schlachtfeld war ist heute eine weite Wüste, mit den leblosen Körpern der getöteten bedeckt. Im Winkel wo Imam Hussains (as) Lager gestanden hatte haben die Witwen und die Waisen eben ihr Morgengebet beendet. Imam Zainul Abedin (as) befindet sich im Sajdah (Niederwerfung), Allah (swt) lobpreisend. Umar Sa'ad (LA) kommt mit einigen Soldaten und befiehlt, die Frauen und Kinder an ein Seil als Gefangene zu fesseln. Wieder gibt es Wehklagen. Unser vierter Imam (as) tröstet sie. Er selbst wird auch in schwere Ketten gelegt. Yazids Soldaten (LA) verbringen den Tag damit, ihre Toten zu begraben, die Körper der Märtyrer und des Imam Hussain (as) aber werden liegengelassen. Imam Zainul Abedin (as) fleht darum, sie begraben zu können, aber seine Bitten bleiben unerhört. Eine weitere Nacht in Kerbala muss sich der Morgendämmerung fügen. Die Gefangenen bleiben gefesselt. Der Imam (as) leidet unter seinen Ketten. Seine Hand- und Fußgelenke sind verschrammt und mit Blutergüssen übersät. Am Morgen des zwölften Muharram werden die Frauen und Kinder auf ungesattelte Kamele verfrachtet. Eine große Prozession wird vorbereitet. Ganz zuvorderst reitet Uma Sa'ad (LA) gefolgt von seinen Offizieren (LA). Dann folgen Fußsoldaten, die die auf Speeren aufgespießten Köpfe der Märtyrer (as/r) tragen. Zwischen ihnen ist der vierte Imam (as), mit Ketten gefesselt. Danach kommen die Kamele, die die gefangenen Frauen und Kinder tragen. Schimr (LA) und die restliche Infanterie bilden den hinteren Teil des Umzuges. Die Reise nach Kufa beginnt.
Ja, die Geschichte Kerbalas ist eine Geschichte fünf trauriger Reisen. Nun beginnt die dritte tränenreiche Reise. Wir schauen auf
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die Reisenden. Wenige, die bei der ersten Reise von Mekka nach Medina dabei waren, sind auch diesmal dabei, aber den Rest kann man nicht sehen. Nein, man kann sie nur sehen, wenn man um sich schaut. Ihre geschlachteten Körper liegen noch immer auf dem Sand Kerbalas.
Wer ist der Held und die Heldin dieser dritten Reise? Der Held ist ein in Ketten gelegter, mit Handschellen gefesselter, erschöpfter, sehr kranker, leidender Mann, der vierte Imam Hadhrat Zainul Abedin (as). Und die Heldin? Wir sehen die Dame, mit nacktem Haupt. Ihr Gesicht voller Schmerzen, doch jetzt spiegelt es den Mut und Stärke ihres Geistes wider. Sie weiß, dass sie um Sukainas (sa) und der anderen Damen (sa/r) Willen nicht ihrer Trauer und dem Schmerz verfallen darf. Ja, es ist Sayyida Zaynab (sa). Umar Sa'ads (LA) Grausamkeit ist noch immer nicht erschöpft. Er entscheidet die Karawane mitten durch das Feld zu führen, wo die Märtyrer liegen. Als das Kamel Zaynabs am Körper Imam Hussains (as) vorbeikommt, kann sie ihren Schmerz und die Qual nicht mehr zurückhalten. Sie wendet sich gen Medina und ruft: „Ya Muhammad (saws), mögen die Engel Sie segnen. Schauen Sie, hier liegt der Körper Ihres geliebten Hussain (as), so erniedrigt und geschändet, mit Blut übersät und in Stücke gerissen. Hier sind wir, Ihre Töchter, als Yazids (LA) Gefangene!"
Imam Zainul Abedin (as) geht zu Sayyida Zaynab (sa): "Liebe Tante, haben Sie Geduld. Ihre Opfer für den Islam haben gerade erst begonnen."
Ibne Ziyad (LA), der Governeur Kufas, hat einen Feiertag ausgerufen. Die Stadt wurde mit Flaggen und Bannern geschmückt. Den Menschen wurde erklärt, dass die Rebellen, die Kufa angreifen und die Bevölkerung töten wollten, in Kerbala besiegt worden waren und dass ihre Frauen als Gefangene in die Stadt geführt werden würden. Diejenigen, die dies glaubten und das waren nicht wenige, kamen und versammelten sich in den Straßen, an denen die Karawane entlanggeführt werden sollte, um die Gefangenen zu verhöhnen und sie zu verspotten. Große Menschenmengen hatten sich überall versammelt. Es herrschte Festtagsstimmung. Die Prozession betrat die Stadt und wurde langsam in Richtung des Governeurspalastes geführt. Die Leute schrien und verhöhnten sie.
Es gab aber auch einige wenige, die die Wahrheit ahnten. Als diese den Kopf Imam Hussains (as) und die Witwen und Waisen in diesem Elend und der Trauer sahen, rannen Tränen aus ihren Augen. Die Mehrheit der Leute war aber unwissend. Sie glaubten den Lügen, bzw. fanden es bequemer den Lügen die Uma Sa'ad (LA) verbreitete Glauben zu schenken. Als die Prozession dem Palast nahte, wurde die Menschenmenge größer. Die meisten der dort versammelten Menschen arbeiteten für Yazid (LA), oder aber unterstützten ihn. Die Verhöhnungen und Beleidigungen wurden lauter. Das Gesicht Sayyida Zaynabs (sa) war rot vor Zorn. Sie stellte sich aufs Kamel uns schaute um sich auf die Menge. Und dann begann sie mit klarer und lauter Stimme zu sprechen: "Gepriesen sei Allah (swt) und gesegnet sei mein Großvater Muhammad (saws), SEIN geliebter Prophet (saws). Wehe euch, Leute von Kufa! Wisst ihr wen ihr ermordet habt? Wisst ihr, welches Gelöbnis ihr gebrochen habt? Wisst ihr, wessen Blut ihr vergossen habt? Wisst ihr, wessen Ehre ihr besudelt habt?" Eine betäubende Stille trat ein. Dann war das leise Weinen von Menschen zu hören. Ein alter, blinder Mann war in der Menschenmenge. Er war ein Gefährte Imam Alis (as) gewesen. Als er Sayyida Zaynabs (sa) Stimme hörte, schrie er auf: „ Bei Allah (swt)! Wenn ich nicht wüsste, dass er von uns gegangen ist, hätte ich geschworen, dass ich soeben die Stimme meines Herren Ali ibne Abi Talib (as) gehört habe!" Imam Zainul Abedin (as) trat zu ihm: „Oh Schaikh, dies ist nicht Ali (as), sondern seine Tochter Zaynab binte Ali (sa). Die Tochter Fatimahs (sa), der geliebten Tochter des heiligen Propheten (saws)." Das Weinen der Menschen wurde lauter. Als aber Sayyida Zaynab (sa) fortfuhr, entstand sofort eine Todesstille:
"Weinen mögt ihr, Leute Kufas! Das Verbrechen was ihr gegenüber dem heiligen Propheten (saws) begangen habt, ist so groß, dass der Himmel erzittert, die Erde erbebt und die Berge zerbröckeln. Ihr habt euren Imam (as) ermordet und so euer Obdach in der Not, dem Übel und dem Kufr verloren. Nichts kann euch mehr vor dem Zorn Allahs (swt) retten, weil ihr den Sohn SEINES letzten Propheten (saws) ermordet habt!"
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Die Leute konnten ihr Wehklagen nicht mehr unter Kontrolle halten. Umar Sa'ad (LA) bekam es mit der Angst zu tun und ließ die Gefangenen schnell in das innere des Palastes bringen. Sie wurden ibne Ziyad (LA) vorgeführt. Schaikh al-Mufid (r) überliefert, dass ibne Ziyad (LA) auf seinem Thron saß und vor ihm der Kopf Imam Hussains (as) lag. Plötzlich schlug er mit seinem Stock in das Gesicht. An alter Gefährte des heiligen Propheten (saws), Zayd bin Arqam, der ebenfalls im Hof anwesend war und diese Erniedrigung, die Imam Hussains (as) Kopf angetan wurde miterlebte, schrie auf: „Nimm deinen Stock von diesen Lippen! Bei Allah (swt), ich habe die Lippen des Propheten (saws) auf diesen Lippen liegen sehen!" Ibne Ziyad (LA) war außer sich vor Wut. Er erwiderte scharf: „Oh alter Mann, wie wagst du es unsere Feier zu Ehren des Sieges unseres Imams, Yazid ibne Muawiyah, zu unterbrechen? Wegen deinem Alter werde ich dein Leben verschonen. Verlasse sofort meinen Hof!"
Dann zeigte ibne Ziyad (LA) auf Imam Zainul Abedin (as) und fragte: "Wer ist dieser junge Mann?" „Er ist Ali ibnal Hussain.", erwiderte Umar Sa'ad (LA). „Wieso lebt er dann noch?", fragte ibne Ziyad weiter und fuhr fort: „Töte ihn sofort!"
Hadhrat Zaynab (sa) trat vor und stellte sich vor Imam Zainul Abedin (as): „Du wirst mich zuerst töten müssen!", sagte sie ibne Ziyad (LA) herausfordernd, entschlossen und mit solcher Wut ansehend, dass er aufgab und ging, anordnend, die Gefangenen einzusperren.