In der theoretischen Logik beschäftigen wir uns mit der vernünftigen Erörterung (Beweisführung) und mit Dichtkunst. Beweisführung wird in der Mathematik benutzt, um eine Theorie zu beweisen oder aufzustellen. Andererseits, vernünftige theoretische Hypothesen müssen akzeptiert werden, und es muss ihnen anstandslos gefolgt werden. Beispielweise wird einem Studenten der Mathematik gelehrt, dass die totale Summe der Winkel eines Dreiecks 180 Grad beträgt, und sie ist niemals kleiner oder größer. Dann werden Gründe dafür ausgesagt. Nun könnte ein Mathematiklehrer so frei und selbstherrlich sein, um (durch eigene Gründe) zu beweisen, dass diese Totalsumme zuweilen 170 Grad beträgt und andere Male 120 Grad oder 200 Grad? Nein, solch eine Macht hat er nicht. Selbst Einstein würde von einem kleinen Studenten kritisiert werden, wenn er so etwas beweisen wollte. Einstein würde in der Tat gegen Vernunft und Logik handeln und niemand würde dies gerne annehmen.
Dichtkunst ist weich wie Wachs, und so steht sie leicht dem Menschen und dem Dichter zur Verfügung. Er kann ein Gleichnis, eine Metapher, eine Imagination usw. anwenden, wie er es wünscht - ein Gedicht ist ohne Logik und Beweisführung. Wird der Dichter aufgefordert, etwas zu bejubeln, so macht er das. Aber er kann die gleiche Sache verdammen und kritisieren, wenn er darum gebeten wird.
Beispielsweise war Fardusi (der große persische Epos-Dichter) eines Tages mit Sultan Mahmud rundum zufrieden, und so überschüttete er ihn mit Lobhudeleien und er schrieb: "Mahmud, der Halter der Welt und der große König. " Am anderen Tag fühlte er sich aber von Mahmud beleidigt und er tadelte den Schah auf diese Weise: "Wäre eine wahre Prinzessin die Mutter des Königs, hätte er mir viel mehr Gold und Silber geschenkt."
27
Dichtkunst kann so manipuliert werden, wie es dem Dichter beliebt. Wird ein Dichter gebeten, das Reisen zu rühmen, kann er schreiben:
"Es wäre sehr gut zu reisen.
Unbewegt zu sein, ist absurd, sage ich.
Könnte der Baum sich auch bewegen,
fände er Axt und Säge erfreulich. "
Andererseits, falls er gebeten wird, die feste Bleibe zu loben, könnte er schreiben:
"Der Berg ist fest gegründet
und so ist er groß und schwer.
Der Wind umher wandert
und sein Gewicht ist leer."
Es ist daher offensichtlich, dass Poesie auf Imagination gründet, die in sich selbst bedeutungslos ist. Sie ist jedoch wirksam zu allen Zeiten.
Es wird erzählt, dass ein König einen Feind hatte, den er einfangen wollte. Das gelang ihm, und schließlich henkte er ihn. Ein Poet, der ein Schüler des Gehenkten war, der weiterhin am Galgen hing, ver-fasste eine Lobrede auf ihn und verteilte sie heimlich im Volke. Natürlich kamen später die Leute dahinter, wer der Verfasser war. Eine Zeile des Gedichtes lautet: "Bei meiner Religion, dies ist offenkundig und richtig, da er im Leben und im Tode zur Höhe emporstieg." Der König hörte dieses Gedicht und er bemerkte, dass er auch gehenkt werden möchte, um so gelobt zu werden.
Hinsichtlich des praktischen Wissens sind einige Leute fest, standhaft, entschlossen und aufrichtig. In der Tat, die Prinzipien und Regeln, denen sie anhängen, sind eindeutig und klar und ihre Anhänglichkeit ist so standfest, dass niemand sie im geringsten schwächen kann. Diese Leute können durch Gewalt, Köderung, soziale und öko-
28
nomische Umstände und Klassenstatus keineswegs beeinflusst werden. Dies ist wegen der Tatsache, dass feste und fundamentale Prinzipien wie logische und mathematische Prinzipien sind; sie sind dem Neigungen des Menschen und seinen Gefühlen nicht unterworfen. Der Heilige Prophet Mohammed (s.), Ali, Imam Husayn und selbst ihre Anhänger, wie Salman Farsi, Abu Dharr, Miqdad, Scheich Mur-tadha Ansari und dergleichen waren alle Männer dieser Kategorie. Aber im Gegensatz dazu sind die Prinzipien einiger Leute im Leben wie jene eines Poeten, und sie gestatten den Gedanken, von Geld und Verlockung beeinflusst zu werden. Sie verändern sich beständig, denn es fehlen ihnen feste und grundsätzliche Prinzipien.
Islam - eine Religion gegründet auf praktischer Logik
Ein sehr wichtiger Punkt, der, während das Verhalten des Propheten diskutiert wird, nicht vernachlässigt werden darf, ist, dass der Islam eine Denkschule ist, die auf praktischer Logik gründet.
Das Menschenwesen besitzt eine Struktur und eine ursprüngliche Natur, wodurch es einer festen und unveränderlichen Logik folgt und anhangt und wodurch es einen standhaften und unentwegten Status in der praktischen Logik gewinnt; und niemals wird es dann von irgendeiner Gewalt oder Macht beeinflusst. Deswegen schildert Imam Ali (a.) den Gläubigen als einen standhaften Berg, der von schweren Stürmen nicht bewegt und weggeschoben werden kann, wie Abstürze und Unbilligkeiten, die zuweilen im Leben des Menschen vorherrschen und auch Wohlstand und Herzensfrieden, worüber der Qur'an sich äußert:
Und unter den Menschen ist manch einer, der Allah halbherzig verehren. Wenn ihn Gutes trifft, so ist er damit zufrieden; trifft ihn aber eine Prüfung, dann kehrt er zu seinem (früheren) Weg zurück. Er
29
verliert diese Welt so gut wie die künftige. Das ist ein offenbarer Verlust.
(Heiliger Qur'an, Sure 22, Vers 11)
Imam und Kalif Ali gibt im Nahdsch-ul-Balagha eine schöne Beschreibung des Wortes "Genügsamkeit"; er sagt:
Genügsamkeit wird in zwei Aussagen des Qur'an ausgedrückt: "... damit ihr euch nicht zu sehr über die Güter betrübt, welche euch entgehen, und euch nicht zu sehr freut über jene, die euch zuteil werden. "
"Suchd" (Genügsamkeit) ist ein Zustand der Seele und kann nicht durch bloße scheinheilige Taten erreicht werden. Der wahre "genügsame" Mensch ist tatsächlich derjenige, der weder sorgenvoll ist, wenn die Welt sich ihm verweigert, noch wird er narrenhaft fröhlich, sollte ihn die Welt mit Gunsterweisen überschütten. In der Tat, er ist derjenige, der in beiden Situationen der gleiche bleibt und seine spirituelle Ausdauer und Standhaftigkeit nicht verliert.
Imam Alis Definition von "Suchd" (Genügsamkeit) geht über die Begriffe von Marx und Hegel hinaus, die das Gegenteil glauben und die jene Tatsache ablehnen, dass Ali sagte, die Menschenwesen können solch einen erhabenen Zustand erringen, dass sie unbeeinflussbar von Klasseninteressen wären. Die Schule des Islam gründet auf diese eigentliche Realität. Der Humanismus des Islam und des wahren Muslim legt die Basis für Menschenwesen, die genügsam bleiben in der Weise, die Imam Ali (a.) beschrieben hat.
Wie in der praktischen Logik wurden in der theoretischen Logik einige Methoden gründlich abgeschafft. Beispielsweise ist in der theoretischen Logik das Glauben an die Aussagen anderer Leute, sogar der religiösen Gelehrten, bei wissenschaftlichen Angelegenheiten verboten. Auch in der praktischen Logik wird dieses Prinzip beobachtet, und auch der Islam stützt das. Beispielsweise enthüllen ein gründliches Studium des praktischen Verhaltens des Heiligen Pro-
30
pheten Mohammed (s.), des Imam Ali (a.) und anderer Imame, und eine tiefe Erwägung der Bücher, die über sie von Schiiten und Sunniten geschrieben wurden, die Tatsache, dass sie niemals Methoden gebrauchten, um "günstige Tage" und "ungünstige Tage" auszumachen. In Nahdsch-ul-Balagha (Gedanken und Worte Imam Alis) wird erzählt:
Imam Ali (a.) entschloss sich, zum Kampf gegen die rebellischen Kharidschiten auszurücken; Acha'ath Bin Qais, der damals einer seiner Gefährten war, trat an ihn heran und sagte: "O Fürst der Gläubigen ! Ich bin Astrologe und ein Experte, um günstige und ungünstige Tage herauszufinden. Ich kam zu diesem Schluss, dass bei einem jetzigen Vorstoß du und eine große Schar deiner Gefährten am Ende besiegt und getötet werden." Imam Ali (a.) erwiderte: „Wer immer die unsinnige Voraussage des Astrologen glaubt, verleugnet tatsächlich die Worte des Heiligen Propheten Mohammed. " Imam Ali befahl dann seinen Gefährten sofort den Angriff im Namen Gottes und im Gottvertrauen, und auf den Astrologen solle gar nicht geachtet werden. Später zeigte sich, dass Ali seinen größten Sieg im Krieg gegen die Kharidschiten errang.
Abdul Malik Bin A'ayun, ein Bruder Suraris, war ein Gelehrter und ein berühmter Erzähler in seiner Zeit. Er hatte Astrologie studiert und praktizierte sie auch. Aber schrittweise fühlte er, dass sein astrologisches Wissen zum Unfug für ihn wurde, denn jeden Tag, wenn er sein Haus verlassen wollte, wurde er durch die Anordnung der Gestirne gestoppt, und er wurde in Zweifel gestürzt, ob er den Ausgang beginnen solle oder nicht. Er ging dann doch zum Imam Sadiq (a.) und bemerkte: "O Nachkomme des Gesandten Gottes ! Die Astrologie macht mir Kummer. Ich habe einige astrologische Bücher und ich fühle, dass ich erst dann eine Entscheidung treffen kann, wenn ich die Bücher befrage." Imam Sadiq war verwundert und fragte: "Praktizierst du wirklich diese Dinge?" Der Mann erwiderte: "Ja, o Nachkomme des Gesandten Gottes." Da riet der Imam, schnellstens nach Hause zu gehen und all solche Bücher zu verbrennen, und er solle danach alles über Astrologie vergessen.
31
Im Überblick betrachtet gibt es, zusätzlich zu einer Reihe von Überlieferungen (Hadithen), ein paar Leute, welche die in der qur'anischen Sure (41:16) erwähnten "unglücklichen Tage" erklären wollen. Eine Untersuchung all dieser Hadithe durch die schiitischen Imame macht es klar, dass die Astrologie (Horoskopstellerei) das Menschenleben nicht im Ernst beeinflussen kann, und die Astrologie kann durch Vertrauen in Gott und im Bekenntnis zum Heiligen Propheten Mohammed (s.) und den zwölf schiitischen Imamen ignoriert werden.
Demgemäß beachtet ein Muslim und wahrer Schiit diese Dinge nicht in der Praxis, und wenn er beispielsweise reisen will, gibt er etwas als Almosen, vertraut in Gott in seinem Bekenntnis zum Propheten Mohammed (s.) und in die zwölf Imame, und dann beginnt er seine Reise. Überdies achten diejenige, die von Astrologie daherreden, selber nicht auf sie, soweit es ihre praktische Logik und Haltung betrifft.
Es gibt einen gutbekannten und weitverbreiteten Aberglauben in Ira-nisch-Khorasan und insbesondere in der Stadt Fariman (Motahharis Heimatstadt), und der Autor bemerkte diesen Aberglauben auch in anderen Städten: Wenn jemand eine Reise machen will und ein Sayyid (ein Nachkomme Fatimas und Imam Alis) kreuzt seinen Weg, so sollte er das als ein schlechtes Vorzeichen ansehen, denn er würde niemals von dieser beabsichtigten Reise zurückkehren. Im Gegensatz dazu, trifft er einen Fremdling, wird seine Reise angeblich günstig und lohnenswert sein.
Unser geehrter Professor, der verstorbene Mirsa Ali Aqae Schirasi, entdeckte den Ursprung dieses Aberglaubens und sagte, dieser sei wegen der Verbrechen, Drohungen und Unterdrückung durch die Abbasiden entstanden, wodurch die Sadat-Leute9 getötet wurden und sogar ganze Familien, die ihnen Unterschlupf gaben. Daher glaubten
9 Gemeint sind die gesegneten Leute, die Nachkommen des Propheten (s.)
32
die Leute allmählich, dass die Sayyids politisch ungünstig seien, obwohl sie in Realität überhaupt nicht ungünstig waren. Da jedes Haus, wo ein Sayyid wohnte, niedergerissen werden musste, verwurzelte sich im Laufe der Zeit in den Köpfen der Leute tief dieser Aberglaube zu einem innerlichen bösen Vorzeichen.
Einstmals begegnete ich selber10 zweimal oder dreimal dieser Situation. Ich wollte von Fariman nach Qum reisen. Meine Mutter (Gott habe sie selig), meine Schwestern, die anderen Weiblichen der Familie und einige Freunde wollten mich verabschieden. Ich bestieg hurtig ein Pferd, um die zwölf Kilometer vom Dorf nach Fariman zu reiten, und dort wollte ich einen Bus zur Weiterreise nehmen. Ich hatte gerade das Pferd bestiegen, da sah ich einen Sayyid auf mich zukommen. Ich betete zu Gott, denn wenn die Frauen das bemerkt hätten, so hätten sie mich nicht wegreiten lassen. Der Sayyid trat an mich heran und wollte wissen, ob ich von Fariman direkt nach Qum reisen würde oder nochmals ins Dorf zurückkommen würde. Er fragte: "Hoher Herr ! So Gott will, wirst du nicht zurückkommen?" Meine Antwort war: "Nein ! So Gott will, ich werde nicht. " Die Frauen jedoch hörten unser Gespräch nicht, andernfalls hätten sie mich nicht wegreiten lassen. Um zum Ende der Geschichte zu kommen: Ich reiste nach Qum ab und nach einer bestimmten Zeitspanne kehrte ich wieder zurück, ohne irgendeine Misslichkeit oder Härte gehabt zu haben.
Ein Muslim sollte daher nicht auf solche abergläubigen Vorstellungen achten. Im Gegenteil sollte er durch Gottvertrauen sie aus seinem Gemüt wegwischen.