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Goethe und der Islam

Goethe und der Islam

Goethe als Freund des Islam? Obwohl eine umfassende Studie von Katharina Mommsen bereits 1987 aufzeigte, wie tief die Verbundenheit des großen Dichters, Gelehrten und Aufklärers mit der Geisteswelt des Islam war, wurden diese Aspekte - ebenso wie in den Jahrzehnten der Goetheforschung zuvor - kaum in die Rezeption aufgenommen. Peter Anton von Arnim brachte als Insel-Taschenbuch eine gekürzte und leicht kommentierte Ausgabe heraus, die es nicht nur im Gedenken des 175. Todesjahres Goethes verdient, gelesen zu werden. Als Brücke zum Islam ist das Buch spannend, weil viele Diskussionen von damals uns heute noch immer beschäftigen. Eine erfrischende Lektüre gerade in einer Zeit, da viel vom "clash of civilisations" die Rede ist, dem Goethe sein Konzept von "Weltliteratur" entgegenzusetzen hätte.
Hier ein sehr ausführlicher Artikel von Herrn von Arnim, den er uns dankenswerter Weise zur Verfügung gestellt hat:

 

Buchtipp:
"Goethe und der Islam", ISBN 3-458-34350-4

Selbst bei denen, die ihren Goethe gut zu kennen meinen, ist bis heute nicht ins allgemeine Bewusstsein gedrungen, dass Goethe zum Islam in einer engen Beziehung stand. Vielmehr ruft der Hinweis darauf oft nicht nur ungläubiges Erstaunen, sondern gelegentlich sogar einen empörten Ausdruck der Zurückweisung hervor. Vermutlich werden auch einige unter Ihnen meinen Vergleich des Stellenwerts der antiken Mythologie in Goethes Werk mit dem des Islam wenn nicht für völlig unglaubwürdig, so zumindest für übertrieben halten. Wer die herrliche Frucht einer im fünfundsechzig¬jährigen Goethe neu erwachten Jugend, seine Gedichtsammlung des "West-östlichen Divan" kennt, wird immerhin den Einfluss des Orients auf den Dichter nicht abstreiten wollen. Aber es ist dazu immer wieder zu hören, Goethe habe sich lediglich seiner Geliebten Marianne von Willemer zu Gefallen ein orientalisches Kostüm zugelegt, er habe also gewissermaßen schon seinerzeit einer Orientalismus-Mode gehuldigt, die im Bismarckschen Kaiserreich in Friedrich von Bodenstedts "Liedern des Mirza Schaffy" eine tändlerische Scheinblüte erleben sollte. Ich möchte aber auf der These bestehen, dass es sich bei Goethe nicht um eine allgemeine Orient-Schwärmerei, sondern um eine tief innere Beziehung zu der vom Propheten Mohammed verkündeten Lehre gehandelt hat. Ja, ich meine beweisen zu können, dass der Islam zeitweilig mindestens in gleich eindringlichem Maße auf Goethes religiöse Überzeugungen eingewirkt hat wie die antike Mythologie. Nehmen wir jenen eindrucksvollen Vierzeiler aus dem "Divan":

Närrisch, daß jeder in seinem Falle
Seine besondere Meinung preist!
Wenn Islam Gott ergeben heißt,
Im Islam leben und sterben wir alle.

Wer von uns hatte allerdings bislang vorstehenden Vierzeiler ernsthaft als ein Bekenntnis Goethes wahrgenommen? Nun gut, nicht alles, was der Dichter als Poesie ausspricht, muss als ein Bekenntnis gewertet werden. Goethe hat das in den "Noten zu besserem Verständnis des west-östlichen Divan" in dem Abschnitt über den persischen Dichter Hafis selbst betont. Besagte "Noten" jedoch will Goethe selbst nicht als ein poetisches Produkt, sondern als Frucht seiner durchaus ernsthaft betriebenen wissenschaftlichen Studien verstanden wissen, auch wenn sie ein herrliches Stück poetischer Prosa darstellen, wie das ja auch bei seiner in wissenschaftlicher Absicht verfassten "Farbenlehre" der Fall ist. Wenn er aber dann in dem Kapitel "Zweifel", nachdem er versucht hat zu erklären, warum die orientalische Poesie uns fremd erscheinen muss, hinzusetzt -

Es ist aber nicht die Religion, die uns von jener Dichtkunst entfernt. Die Einheit Gottes, Ergebung in seinen Willen, Vermittlung durch einen Propheten, alles stimmt mehr oder weniger mit unserm Glauben, mit unserer Vorstellungsweise überein.

- dann kann man das zweifellos durchaus als Ausdruck seiner innersten Überzeugung werten. Ich werde die Bedeutung jedes einzelnen dieser drei Punkte: "die Einheit Gottes, Ergebung in seinen Willen, Vermittlung durch einen Propheten" im Verlauf meines Vortrags näher erläutern. Man muss allerdings davon ausgehen, dass Goethe, wenn er hier behauptet, es bestehe eine Übereinstimmung der genannten Glaubensinhalte mit "unserm Glauben, unserer Vorstellungsweise", er damit, ob er sich dessen nun bewusst war oder nicht, weitgehend nur für sich selbst spricht und wohl kaum für seine deutschen Landsleute. "Ergebung in Gottes Willen", das ist eben die Bedeutung des arabischen Wortes "Islam", wie das im oben zitierten Vierzeiler bereits erklärt wird. Goethe hat dazu Näheres ausgeführt in den "Noten", und zwar innerhalb des Kapitels "Künftiger Divan" im Abschnitt über das "Buch der Parabeln". Darin spricht er davon, dass man die orientalischen Parabeln in drei Rubriken enteilen könne, in ethische, moralische und asketische, und fährt dann fort:

Diesen läßt sich eine vierte anfügen: sie stellen die wunderbaren Führungen und Fügungen dar, die aus unerforschlichen, unbegreiflichen Ratschlüssen Gottes hervor¬gehen; lehren und bestätigen den eigentlichen Islam, die unbedingte Ergebung in den Willen Gottes, die Überzeugung, daß niemand seinem einmal bestimmten Lose ausweichen könne.

Es ließen sich noch eine ganze Reihe von privaten, meist brieflichen Äußerungen Goethes anführen, worin er im Sinne des oben zitierten Vierzeilers vom Islam als von seiner höchst eigenen Überzeugung spricht, ja dieses Gedicht sozusagen in einer dem jeweiligen Brief entsprechenden Prosafassung wiedergibt:

Am 29. Juli 1816 schreibt Goethe an den Freund Heinrich Meyer:

Und so müssen wir denn wieder im Islam, (das heißt: in unbe¬dingter Hingebung in den Willen Gottes) verharren, welches uns dann fernerhin nicht schwer sein wird, wenn es uns ein we¬nig glimpflicher geht als bisher.

Als seine Schwiegertochter gefährlich erkrankt war, schrieb er an seinen Freund Zelter am 20. September 1820 in Anspielung auf jenen Vierzeiler aus dem "Divan":

Weiter kann ich nichts sagen, als daß ich auch hier mich im Islam zu halten suche.

Ähnlich äußerte sich Goethe, als im Jahre 1831 die Cholera um sich gegriffen hatte. Er schreibt der Rat suchenden Freun¬din Adele Schopenhauer, wiederum auf jenen Vierzeiler anspielend, am 19. September 1831:

Hier kann niemand dem anderen raten; beschließe was zu tun ist jeder bei sich. Im Islam leben wir alle, unter welcher Form wir uns auch Mut machen.

In einem Brief vom 22. Dezember 1820 bedankt sich Goethe bei seinem Freund Johann Jakob von Willemer für dessen Aphorismen¬samm¬lung, betitelt Lebensansichten. Ein Buch für Jünglinge. Frankfurt 1821, und schreibt dazu:

Es stimmt [...] zu jeder religiös-vernünftigen Ansicht und ist ein Islam, zu dem wir uns früher oder später alle bekennen müssen.

Noch kurz vor seinem Tode, am 9. Februar 1832, schrieb der 82jährige Dich¬ter, als wiederum die Cholera zu wüten begonnen hatte, an Marianne von Willemer:

Hier am Orte und im Lande ist man sehr gefaßt, indem man es abzuwehren für unmöglich hält. Alle dergleichen Anstalten sind aufgehoben. Besieht man es genauer, so haben sich die Men¬schen, um sich von der furchtbaren Angst zu befreien, durch einen heilsamen Leichtsinn in den Islam geworfen und ver¬trauen Gottes unerforsch¬lichen Ratschlüssen.

Man kann jedoch von Goethes Beziehung zum Islam und zu seinem Propheten nicht sprechen, ohne daneben zugleich den Namen des jüdischen Philosophen Spinoza zu erwähnen (den allerdings die orthodoxen Juden Amsterdams als Ketzer aus ihrer Gemeinde ausgestoßen hatten), den Goethe ebenso hoch verehrt hat, gerade auch im Hinblick auf seine gleichlautende Lehre von der Determiniertheit allen Geschehens durch Gott. Gewiss, eine gleiche Glaubenslehre findet sich gelegentlich auch im christlichen Schrifttum. So heißt es etwa in Matthäus 10, Vers 29 und 30:

Kauft man nicht zwei Sperlinge um einen Pfennig? Dennoch fällt deren keiner auf die Erde ohne euren Vater. Nun aber sind auch eure Haare auf dem Haupte alle gezählt.

Aber in einer solchen, das ganze Leben umfassenden Eindringlichkeit wie bei Spinoza oder im Islam ist diese Einstellung im Christentum nicht zu finden. In der Zeit der Entstehung des "West-östlichen Divan" war Goethe ein eifriger Leser der damals von dem österreichischen Diplomaten, Orienta¬listen und Übersetzer Joseph v. Hammer herausgegebenen orientalisti¬schen Zeitschrift "Fundgruben des Orients". Darin fand er, vom Herausgeber formuliert, eine "Antwort auf die Frage: Welchen Einfluss hatte während der ersten drei Jahrhunderte nach der Hidschra [Auszug des Propheten und seiner Jünger von Mekka nach Medina] der Mahometismus [gemeint ist der Islam] auf den Geist, die Sitten und die Regierung der Völker, bei denen er Fuß gefasst hat?" Hammers Antwort lautete:

Ergebung in den Willen Gottes und Vertrauen in die Vorsehung bilden das Wesen des Islam. Vertrauen in die Zukunft: Inschallah: wenn Gott will oder wenn es Gott gefällt; und Ergebung in das Vergangene, Maschallah: was Gott will, oder was Gott gefällt. Nichts unternehmen ohne die himmlische Hilfe erfleht zu haben: Bismillah: im Namen Gottes, und nichts beenden ohne Danksagung: Elhamdulillah: Lob sei Gott. Diese vier Worte, sozusagen die vier Eckpfeiler in der Ethik des Islam, führen alle Muslime ständig im Munde.

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