Bundeskanzlerin Angela Merkel und Vizekanzler Sigmar Gabriel stimmen die Deutschen auf einen Kraftakt zur Überwindung der Flüchtlingskrise ein.
SPD-Chef Gabriel sprach am Montag von der größten Herausforderung seit der deutschen Einheit. "Wir werden noch lange Zeit freiwilliges Engagement brauchen", sagte Merkel. Die Regierungsparteien CDU, SPD und CSU hatten sich in einer Nachtsitzung zuvor auf ein Maßnahmenpaket im Volumen von sechs Milliarden Euro geeinigt. Merkel und Gabriel riefen zudem erneut alle EU-Staaten dazu auf, Flüchtlinge aufzunehmen und drohten andernfalls mit Konsequenzen. Der Flüchtlingsstrom nach Deutschland ebbte unterdessen etwas ab, dennoch passierten erneut über tausend Migranten die Grenze.
Die Integration der Menschen sei sehr wichtig, sagte Gabriel. "Wir müssen das Land auch zusammenhalten", mahnte er. Die dieses Jahr erwarteten 800.000 Flüchtlinge könnten zwar aufgenommen werden. Deutschland könne aber nicht jedes Jahr eine derartige Zahl von Zuwanderern verkraften. Zunächst ließ die Bundesregierung jedoch offen, wie lange die Ausnahmen für in Ungarn gestrandete Flüchtlinge zur Einreise nach Deutschland noch gelten sollten. Nachdem Deutschland und Österreich sich zur Aufnahmen der Menschen entschlossen hatten, kamen am Wochenende 20.000 Flüchtlinge in München an.
Am Montag trafen bis zum Nachmittag mehrere hundert Migranten am Münchner Hauptbahnhof ein. Allerdings leitete die Bahn nicht mehr alle Züge über die bayerische Hauptstadt. Im Salzburg starteten nach Angaben der Regierung Oberbayern drei Sonderzüge ins Bundesgebiet mit über 2000 Passagieren, einer davon mit Ziel Dortmund. Um München als Drehkreuz für die nach Deutschland kommenden Flüchtlinge zu entlasten, war geplant, auch Leipzig zum Verteiler zu machen. München als einziger Drehscheibe drohe der Kollaps, warnte Christoph Hillenbrand, Regierungspräsident von Oberbayern.
KOALITION STELLT SECHS MILLAIRDEN EURO BEREIT
Kern der Beschlüsse der Koalition zum Umgang mit den nach Deutschland kommenden Menschen ist die Bereitstellung von sechs Milliarden Euro, die je zur Hälfte Bund oder Ländern und Kommunen zugeschlagen werden sollen. Merkel und Gabriel bezeichneten es als realistisch, dass sich die Gesamtkosten im nächsten Jahr auf zehn Milliarden Euro summieren werden. Beide Politiker verwiesen darauf, dass Länder und Kommunen aus ihren Haushalten auch eigene Anstrengungen unternähmen.
Zudem soll die Aufnahme von Schutzsuchenden, aber auch die Abschiebung abgelehnter Asylbewerber erleichtert werden. Zu dem Maßnahmen zählt auch die Erweiterung der Kapazitäten in Erstaufnahmeeinrichtungen von 50.000 auf 150.000 Plätze. Zudem sollen Bargeldleistungen weitgehend durch Sachleistungen ersetzt werden. Union und SPD einigten auch darauf, das Kosovo, Albanien und Montenegro zu sicheren Herkunftsländern zu erklären. Die Bürger dieser Länder können leichter abgeschoben werden. Die Länder, die im Bundesrat einen Teil der Maßnahmen billigen müssen, reagierten zunächst verhalten und forderten dauerhafte anstatt einmalige Hilfen.
MERKEL POCHT AUF SOLIDARITÄT ANDERER EU-STAATEN
Merkel forderte mit Blick auf den Widerstand in vor allem osteuropäischen Staaten, auch andere EU-Mitglieder müssten die Lasten durch die vielen Hilfesuchenden tragen: "Wir brauchen hier eine Kraftanstrengung der Europäischen Union." Gabriel sagte, es könne nicht sein, dass Deutschland, Österreich und Schweden die einzigen Länder seien, die sich "namhaft" an der Aufnahme von Flüchtlingen beteiligten. Erneut drohte er aufnahmeunwilligen Ländern mit dem Entzug von EU-Geldern. "Es kann nicht sein, dass einige Länder das alles tragen und ansonsten Europa weiter sein Geld ausgibt wie bisher."
Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban lehnte verbindliche Quoten zur Verteilung von Flüchtlingen erneut ab. Solange die EU ihre Grenzen nicht schützen könne, sei es noch nicht mal sinnvoll, darüber zu diskutieren, erklärte er. Auch die Slowakei sprach sich gegen das Quotensystem aus.
Frankreichs Präsident Francois Hollande kündigte dagegen an, sich an die von der EU vorgeschlagenen Quoten zu halten und 24.000 Flüchtlinge aufzunehmen. Zudem wolle er eine internationale Flüchtlingskonferenz in seinem Land ausrichten.
EU-Kommissar Dimitris Avramopoulos warb nach einem Besuch im österreichischen Flüchtlingslager Traiskirchen um Unterstützung für einen neuen Vorschlag zur Verteilung von Flüchtlingen. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker werde am Mittwoch ein neues Konzept präsentieren. Der Ansturm der Asylsuchenden könne nicht von einzelnen wenigen Ländern bewältigt werden.
Deutschland soll nach Angaben aus der EU-Kommission zusätzlich 31.000 Flüchtlinge aus Italien, Griechenland und Ungarn aufnehmen. Insgesamt sollten 120.000 Flüchtlinge aus diesen drei Ländern über die EU-Staaten verteilt werden, hieß es. "Es ist essentiell, dass die Mitgliedsstaaten ihre Solidarität zeigen", sagte Avramopoulos.
source : abna