Die Bewegung von Aschura und der Aufstand Imam Husseins in Karbala ist eine der nachhaltigsten Bewegungen in der Geschichte. Es gibt nur wenige historische Ereignisse, die bis in die Einzelheiten in den Quellen festgehalten wurden. Die Erinnerung an die Aschura-Bewegung wird auch nach über 14 Jahrhunderten jedes Jahr im Monat Muharram neu aufgefrischt.
Der Prophetenenkel Imam Hussein a.s. erhob sich in einer Zeit, in der die Wahrheit des Islams verfälscht worden war. Das Kalifat des Propheten Gottes war in die vererbliche Sultanherrschaft der Ummayaden verwandelt worden.
Angesichts der Größe der Aschura-Bewegung haben sich in der Geschichte viele Gelehrten dazu geäußert. Wir möchten hier die Äußerungen von sunnitischen Gelehrten betrachten.
Die Ermordung des Prophetenenkels Imam Hussein a.s. konnte schwere Folgen für Yazid haben. Deshalb versuchte der Ummayadenherrscher, die Realität zu verfälschen. Yazid setzte dazu seine Geschichtsschreiber ein. Diese verbreiteten unter dem Volk das Gerücht, dass Yazid der Kalif der Muslime ist und jeder Muslim ihm einen Treueid leisten müsse. Wer dies nicht tue, sei kein Muslim und es sei erlaubt, ihn zu töten. Deshalb hätte Yazid richtig gehandelt, als er Imam Hussein, der ihm den Treueeid verweigert hatte, töten ließ.
Aber die muslimischen Gelehrten, darunter auch viele sunnitische, haben diese Argumente nicht akzeptiert. Sie haben den Aufstand Imam Husseins als gerechtfertigt bezeichnet und umgekehrt Yazid als eine Person identifiziert, die der Religion den Rücken zugewandt hat.
Abul Faradsch Ibn Dschauzi (510 bis 594 n.d. Hidschra – 12. Jahrhundert nach Christus) ) ist ein großer sunnitischer Gelehrter, Überlieferungskenner und Historiker gewesen. Er hat Yazid scharf verurteilt und Imam Hussein a.s. verteidigt.
Ibn Dschauzi sagt: „Der Heilige Koran hat schon Leute, die weniger Sünden begangen haben als Yazid, verdammt und zu den Hölleninsassen gezählt. Aber Yazid hat viel Schlimmeres als sie getan.“
Ibn Dschauzi fährt fort: „Wenn wir die Geschichte betrachten, wird uns klar, dass Yazid überhaupt kein Kalif war. Die Bevölkerung wurde gezwungen, ihm den Treueid zu schwören. Yazid hat keine Sünde gescheut. Sogar wenn wir annehmen würden, dass das Treubündnis mit ihm richtig gewesen wäre, hat er Verstöße begangen, von denen jeder eine Annullierung des Treueids rechtfertigte.
Schahabuddin Mahmud Alusi ( 1217 bis 1270 n. d. H – 19. Jahrhundert) ein irakischer Mufti und religionsrechtliches Nachahmungsvorbild hat ein festes Argument für die berechtigte Verdammung des Yazids unterbreitet. In seinem Korankommentaar „ Ruh al Ma`ani „ führt er die Verse 22 und 23 der Sure Mohammad (s.a.a.s.) an, in denen es heißt:
„ Ob von euch , wenn ihr euch (von Gott und dem Propheten)abwendet , wohl etwas anderes erwartet wird, als dass ihr auf der Erde Unheil anrichtet und (wegen den weltlichen Gütern) die Bande eurer Blutsverwandtschaft zerreißen werdet? Das sind diejenigen, die Gott verflucht hat: Er hat sie (auf den Herzen )taub gemacht und ihre (inneren) Augen erblinden lassen.“
Unter dieser Koranstelle zitiert Alusi den Begründer der hanbalitischen Rechtsschule Ahmad Ibn Hanbal, der von seinem Sohn hinsichtlich der Verdammung des Yazid gefragt wurde. Ahmad Ibn Hanbal anwortete seinem Sohn: „Warum sollte jemand nicht verflucht werden, den Gott in Seinem Buch verflucht hat?!“ Abdullah, der Sohn von Ahmad Ibn Hanbal, meinte: „Ich habe das Buch Gottes gelesen, aber nichts über die Verfluchung von Yazid darin gefunden,“ Da verwies ihn Ahmad Ibn Hanbal auf die obigen Verse und sagte:„Welches Unheil und welcher Abbruch der Verwandschaft ist denn schlimmer als das, was Yazid getan hat!“
Masud Ibn Umar Taftazani ist ein sunnitischer Scholastiker gewesen, der von 1322 bis 1390 lebte. In seinem Scharh ul Maqasid verweist er auf das Unrecht, das den Ahle Bait, der Familie des Propheten, angetan wurde und schreibt, niemand könne verbergen, dass den Ahl-e Bait ein Unrecht geschehen ist. Er weiter: „Dieses Unrecht war dermaßen groß, dass alles auf Erden und im Himmel weinte und die Erinnerung daran trotz Verstreichen der Zeit nicht aus dem Gedächntnis verloren geht. Gottes Fluch sei auf dem, der an diesem Unrecht teilnahm oder damit zufrieden war.“
Ibn Chaldun (1332 bis 1406), Politiker, Historiker, Philosoph und Verfasser des berühmten Werkes Al Moqaddima schreibt: „Da Yazid verdorben war, war sein Ausschluss aus der Religion eine Pflicht. Seine Sittenlosigkeit und sein Gott-Ungehorsam waren für alle Muslime deutlich zu erkennen und daher war es richtig, was Imam Hussein getan hat. Er war im Recht und sein Handeln war würdig.“
Eine der Frage zu dem Ereignis von Karbala lautet, warum Imam Hussein a.s., trotzdem er wusste, dass sein Schritt ihn in den Tod führt, nach Karbala gezogen ist. Tufiq Abu Alam, ein bekannter zeitgenössischer Gelehrter der ägpytischen Sunniten, hat sich mit dem Aufstand von Imam Hussein auseinandergesetzt und schreibt:
„Imam Hussein a.s. ging nach Karbala, um sich einerseits zum Protest zu erheben und um andererseits Yazid nicht den Treueeid zu schwören.
Natürlich war ihm klar, dass er bei diesem Aufstand und bei der Verweigerung des Treueeides schließlich ermordet würde. Aber wenn er Yazid die Treue geschworen hätte, wäre es eine Bestätigung der grundlegenden Änderungen, die Yazid am Islam vornehmen und vieler Ketzereien, die er einführen wollte, gewesen . Deshalb heißt es, dass Hussein sich und seine Familie und seine Kinder seinem Großvater opferte und nur durch seine Ermordung das Regime der Ummayaden erschüttert werden konnte. Hussein hat sich also nicht aus weltlichen Gründen und wegen Macht und Ansehen erhoben, sondern er wollte, dass die Gebote Gottes durchgeführt werden.“
Der libanesische Gelehrte und Sunnit Scheich Abdullah Alaili (verst. 1996) schreibt , dass bei den Bedingungen, die unter Yazid herrschten, kein freiheitsliebener und religiöser Menschen schweigen konnte. Er ist davon überzeugt, dass Imam Hussein a.s. am besten geeignet war, gegen diese Missstände aufzubegehren. Der Aufstand Husseins a.s. sei in Wirklichkeit der Wunsch aller Muslime gewesen und hatte derartige Reaktionen zur Folge, dass der Thron der Ummayaden ins Schwanken geriet und sie schließlich stürzten. Scheich Alaili schreibt: Für alle muslimischen Denker zur damaligen Zeit stand fest, dass Yazid wegen jener gewissen Gesinnung und Erziehung , nicht geeignet war, die Lenkung der Islamischen Gesellschaft zu übernehmen. Für keinen Muslim war es richtig, dass er schweigt, sondern sie alle hatten die Pflicht, offen zu protestieren.
Imam Hussein a.s. wollte also in Wahrheit nicht selber für die Regierung kandidieren, sondern sein Vorgehen war vor allem ein Protest gegen die Herrschaft des Yazid. Dies beweist auch die Antwort Imam Husseins a.s,. die er Walid Ibn Utbah gab , der ihn aufgefordert hatte, Yazid den Treueeid zu leisten, nämlich: `Yazid ist ein Gott-Ungehorsamer , dessen Gott-Ungehorsam vor Gott eindeutig ist.`“
Scheich Alaili sagt dann an Imam Hussein gerichtet: „Jeder hat im Leben eine Zeit, in der er lebt und einen Tag, an dem er stirbt. Aber du Hussein, hast nur gelebt. Du bist nie gestorben. Du hast deine schöne Seele für deine edle Überzeugung , dein großes Ziel und Heiliges Ideal eingesetzt. Deshalb hast du Recht und Wahrheit und den Islam auf der Welt ins Leben zurückgerufen und du selber lebst auch.“
Als die Religion Gottes für die Herrscher zu einem Werkzeug und Spielzeug geworden war, um an materielle Vorteile zu gelangen, hatte es keine Wirkung mehr, dass Imam Hussein das Gute empfiehlt und das Schlechte verwirft. Was sollte er tun? Sollte er tatenlos Zeuge sein, wie der Geist der Menschlichkeit und des Islams vernichtet wird? Sayyid Qutb (1906-1966), der bekannte ägyptische Autor und Theoretiker hat über den Aufstand von Imam Hussein geschrieben: „In kleinem Maßstab war das Ergebnis der Bewegung Imam Hussein nichts anderes als eine Niederlage, aber in Wirklichkeit und im großen Maßstab war es ein totaler Sieg. Kein Märtyrer auf der Erde ist wie Imam Hussein a.s. , der die Gefühle und Herzen erobert hat und Generationen zur Verteidigung der Ehre und zur Opferbereitschaft brachte.
Es gibt viele, die ihre Ansicht und ihren Ruf, selbst wenn sie 1000 Jahre gelebt hätten, nicht hätten verbreiten können. Aber Hussein a.s. hat durch seinen Märtyrertod seine Überzeugung und seinen Aufruf bewiesen.
Keine Ansprache konnte die Herzen so sehr anziehen und Millionen zu großen Taten veranlassen, wie die letzte Ansprache von Imam Hussein, die er mit seinem Blut unterschrieb und die für immer zur Bewegung und zur Wandlung der Menschen in der Fortsetzung der Geschichte führte.“
Sunnitische Persönlichkeiten haben Gedichte zu dem Ereignis von Karbala geschrieben und ihre Trauer zum Ausdruck gebracht. Imam Schafi`i (767 bis 820) der dritte der sunnitischen Imame hat über die Bewegung von Karbala ein Gedicht folgenden Inhalts verfasst: „Hussein a.s. ist ein schuldloses Opfer. Sie färbten sein Gewand mit seinem Blut. Wie eigenartig ist es für uns Leute, dass wir einerseits Segensgrüße für das Haus des Propheten ausrufen und auf der anderen Seite dessen Nachkommen töten und quälen! Wenn meine Sünde die Freundschaft zu dem Haus des Propheten ist, so werde ich diese Sünde nie bereuen. Die Edlen aus dem Prophetenhaus (aleihomasalam) sind am Tag der Auferstehung meine Fürbitter. Sollte ich ihnen mit Feindschaft begegnen, habe ich eine unverzeihliche Sünde begangen.“