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Ein Brief an Abu-Zhar

Ein Brief an Abu-Zhar

 

Ein Brief aus der Ferne erreichte Abu-Zhar. Der Briefschreiber hatte ihn um einen verbindlichen Rat gebeten. Er kannte Abu-Zhar und wußte, wie sehr ihm der Prophet gewogen war und wie gut dieser Abu-Zhar mit seinen weisen Worten herangebildet hatte. Die Antwort Abu-Zhars war sehr kurz. Sie bestand aus einem einzigen Satz: "Behandle den Menschen, den du am meisten liebst, nicht schlecht und feindselig." Der Empfänger las den Brief Abu-Zhars, konnte jedoch dessen Sinn nicht erfassen. "Was heißt das, ich soll den Menschen, den ich am meisten liebe, nicht schlecht und feindselig behandeln? Das ist doch selbstverständlich. Wer behandelt schon seinen Liebling schlecht? Im Gegenteil, man ist bereit, alles für ihn zu opfern." Er dachte andererseits an die Persönlichkeit des Mannes, von dem diese Worte stammten; er war immerhin ein Aufrichtiger und Wahrhaftiger seiner Gesellschaft und besaß einen scharfen Verstand. "Ich muß Abu-Zhar um Erklärung bitten," überlegte er.

Er schrieb also erneut an Abu-Zhar und bat ihn um Erklärung. Abu-Zhar antwortete: "Ich habe dich damit gemeint, als ich von dem Menschen sprach, der dir am liebsten ist; denn du liebst dich selbst am meisten. Und als ich sagte, du sollst den Menschen, den du am meisten liebst, nicht feindselig behandeln, meinte ich, du sollst nicht gegen dich selbst handeln. Denn du wirst die Folgen einer jeden Sünde, die du begehst, selbst tragen; bist also unmittelbar davon betroffen." (15)

Das Hemd des Khalifen

 

Der Khalif Umar Ibn Abd-ul-Aziz hielt von der Kanzel der Moschee eine Predigt. Während er sprach, griff er von Zeit zu Zeit nach seinem Hemd und bewegte es hin und her. Die Gläubigen wunderten sich über das sonderbare Verhalten des Khalifen und fragten sich, was das alles zu bedeuten habe. Nach Beendigung der Predigt stellte sich heraus, daß sich der Khalif aus Achtung vor dem öffentlichen Eigentum der Muslime und zur Wiedergutmachung der Ausschweifungen seiner Vorgänger bei der Vergeudung der öffentlichen Gelder nur ein einziges Hemd angeschafft hatte und daß dieses eine Hemd erst kurz vor der Predigt gewaschen worden war. Um das nasse Hemd zu trocknen, hatte er es hin und her bewegt. (16)

Brennholz sammeln in der Wüste

 

Auf einer Reise machten der Prophet und seine Gefährten an einem Ort mit wenig Vegetation halt. Sie brauchten Brennholz, um Feuer anzumachen. Als der Prophet anordnete, Holz zu sammeln, wurde ihm entgegnet: "Gesandter Gottes, wie Du siehst, ist hier weit und breit kein Holz zu sehen." Der Prophet antwortete: "Trotzdem soll jeder so viel sammeln, wie er kann." Die Gefährten machten sich auf den Weg, suchten das Gelände ab und hoben jeden kleinen Zweig auf. Jeder sammelte so viel, wie er konnte und brachte es mit. Übereinandergestapelt wuchsen die kleinen Zweige zu einem großen Haufen. Daraufhin sagte der Prophet: "So verhält es sich auch mit den kleinen Sünden. Am Anfang übersieht man sie gerne, doch alles wird gesucht und gefunden. Ihr habt gesucht und so viel Brennholz gesammelt. Auch eure Sünden werden gezählt und addiert. Die kleinen Sünden, die man am Anfang übersieht, wachsen allmählich zu einem großen Haufen."(17)

 

Hilfeleistung

Safvan war zu Besuch bei Imam Sadiq (a.s.). Plötzlich kam ein Mann aus Mekka herein und berichtete über seine Schwierigkeiten. Es handelte sich um einen Pachtstreit, der ihm Schwierigkeiten verursachte. Imam Sadiq (a.s.) wies Safvan an: "Gehe sofort, und hilf deinem Glaubensbruder." Safvan machte sich auf den Weg und kam wieder zurück, nachdem er die Angelegenheit erledigt und die Schwierigkeit behoben hatte. Imam Sadiq (a.s.) fragte: "Was ist aus der Sache geworden?"

"Gott hat sie bereinigt", war die Antwort.

"Die äußerst geringe Mühe, mit der du die Not eines anderen behoben hast, hat dich nicht viel Zeit gekostet. Trotzdem ist sie höher zu bewerten als eine siebenmalige Umwanderung der Kaaba." Imam Sadiq (a.s.) fuhr fort: "Ein Mann hatte ein Problem, kam zu Imam Hassan (a.s.) und bat diesen um Hilfe. Imam Hassan (a.s.) stand sofort auf und machte sich mit ihm auf den Weg. Unterwegs begegneten sie Imam Hussain (a.s.), der betete. Imam Hassan fragte den Mann: ‘Wieso hast du es versäumt, Hussain um Hilfe zu fragen?’ - ‘Ich wollte eigentlich zu ihm gehen und ihn um Hilfe bitten. Doch als ich hörte, daß er sich zum Gebet zurückgezogen hat und somit entschuldigt ist, bin ich nicht zu ihm gegangen’, antwortete der Mann. Imam Hassan sagte: ‘Wenn ihm die Gunst zuteil geworden wäre, deine Not zu beheben, wäre es für ihn besser gewesen, als den ganzen Monat zu beten."(18)

Wer ist frommer

 

Ein Gefährte Imam Sadiqs (a.s.) der gewöhnlich an den Vorlesungen des Imam teilnahm, zu den Versammlungen seiner Freunde erschien und mit ihnen gesellschaftlich verkehrte, war seit einiger Zeit nicht mehr zu sehen. Eines Tages fragte Imam Sadiq (a.s.) seine Gefährten und Freunde: "Wo ist er eigentlich? Ich habe ihn seit langem nicht gesehen."

"In letzter Zeit ist er in Armut geraten und leidet Not", kam als Antwort. Imam Sadiq (a.s.) fragte daraufhin: "Was macht er denn?" - "Nichts", war die Antwort, "er sitzt zu Hause und betet ständig." Nun frage der Imam: "Und wie bestreitet er seinen Lebensunterhalt?", und erhielt als Antwort: "Einer seiner Freunde sorgt für seinen Lebensunterhalt." Dann sagte Imam Sadiq (a.s.): "Bei Gott, dieser Freund ist um einiges frommer als er." (19)

Der Gast des Richters

 

Ein Mann ließ sich bei Imam Ali (a.s.) häuslich nieder. Tagelang war er Gast des Imams. Doch er war kein gewöhnlicher Gast. Er hatte etwas auf dem Herzen, das er zuerst nicht preisgeben wollte. Es handelte sich um einen Streitfall zwischen ihm und einem anderen, denn er erwartete, daß der Fall in Imam Alis (a.s.) Gegenwart behandelt werde. Eines Tages vertraute er sich schließlich seinem Gastgeber an und erzählte von dem Streit und dem zu erwartenden Prozeß. Imam Ali (a.s.) fragte: "Du bist also eine der Streitparteien?"

"Ja, Fürst der Gläubigen", antwortete er.

Daraufhin sagte Imam Ali (a.s.) zu ihm: "Es tut mir leid, dir sagen zu müssen, daß ich dich ab heute nicht mehr als meinen Gast bewirten darf; denn der Prophet hat gesagt: ‘Wenn ein Streit vor den Richter gebracht wird, darf der Richter nicht nur eine Person als Gast empfangen; es sei denn, beide sind seine Gäste’." (20)

Die Altersrente

 

Der alte Christ hatte nichts sparen können, obwohl er sein Leben lang gearbeitet und sich abgemüht hatte. Schließlich verlor er noch sein Augenlicht. Armut und Erblindung im hohen Alter ließen ihm keinen anderen Ausweg, als betteln zu gehen. Er stand am Rande der Straße und bettelte. Die Leute hatten Erbarmen mit ihm und gaben ihm kleinere Almosen. So fristete er kümmerlich sein Leben.

Eines Tages wurde Imam Ali (a.s.), der dort vorbeikam, auf ihn aufmerksam. Imam Ali (a.s.) erkundigte sich nach ihm, um zu erfahren, wie er in diese Lage geraten konnte. Hatte er keine Kinder, die für seinen Lebensunterhalt hätten aufkommen können? Gab es keinen anderen Ausweg, dem alten Mann einen würdigen Lebensabend zu ermöglichen, damit er nicht betteln brauchte? Leute, die den Alten kannten, bezeugten, daß er gearbeitet habe, solange er sehen konnte und seine Kräfte reichten. Nun ist er alt und blind, nicht imstande zu arbeiten und hat keine Ersparnisse, von denen er leben kann. Es ist natürlich, daß er betteln geht. "Was ist daran so natürlich?", fragte Imam Ali (a.s.), "solange er arbeiten konnte, habt ihr ihn ausgebeutet. Dieser Mann hat gearbeitet und gedient, solange seine Kräfte reichten. Nun sind die Regierung und die Gesellschaft verpflichtet, für ihn zu sorgen, solange er lebt. Zahlt ihm Unterhalt aus der Staatskasse." (21)

Beschwerde über den Ehemann

 

Die ihm vorgetragenen Beschwerden überprüfte Imam Ali (a.s.) persönlich und überließ es keinem anderen. An heißen Tagen, während sich die Leute gewöhnlich zur Mittagsruhe begaben, saß er im Schatten der Mauer außerhalb des Amtsgebäudes, so daß die Leute, die sich beschweren wollten, ihm ihre Beschwerde unmittelbar und ohne Hindernisse vortragen konnten. Bisweilen ging er auch durch die Gassen und Straßen, stellte Ermittlungen an und beobachtete die allgemeine Lage an Ort und Stelle. Eines heißen Tages kehrte er müde und verschwitzt zu seinem Amtssitz zurück und sah eine Frau vor der Tür stehen. Als die Frau ihn sah, trat sie vor und sagte: "Ich habe eine Beschwerde vorzubringen. Mein Mann hat mich ungerecht behandelt, mich aus dem Haus gejagt und gedroht, mich zu verprügeln, wenn ich nach Hause zurückkomme. Nun fordere ich mein Recht durch Dich."

Imam Ali (a.s.) antwortete: "Es ist jetzt zu heiß. Gedulde dich, bis es sich am Nachmittag abkühlt. Dann werde ich, wenn Gott will, mit dir gehen und deine Angelegenheit regeln." Besorgt sagte die Frau: "Ich fürchte, wenn ich mich noch länger außerhalb des Hauses aufhalte, wird er sich auch darüber ärgern und mich um so mehr quälen." Einen Augenblick senkte Imam Ali (a.s.) den Kopf, und als er aufschaute, sagte er flüsternd vor sich hin: "Bei Gott, man soll die Überprüfung einer Beschwerde nicht aufschieben. Das Recht des Unterdrückten soll man unverzüglich beim Unterdrücker einklagen. Dem Unterdrückten soll man die Furcht davor nehmen, seinem Unterdrücker mutig und ohne Angst gegenüberzutreten und sein Recht zu fordern."

Dann wandte er sich an die Frau: "Wo wohnst du?" Sie beschrieb ihm den Weg. "Laß uns gehen", sagte Imam Ali (a.s.) und machte sich in Begleitung der Frau auf den Weg zu ihrem Haus. Vor dem Haus angekommen, rief er: "Seid gegrüßt, Bewohner des Hauses." Ein junger Mann kam heraus. Er kannte Imam Ali (a.s.) nicht, sah einen älteren Mann von ungefähr 60 Jahren in Begleitung seiner Frau und wußte, daß sie ihn um Beistand gebeten hatte. Doch sagte er nichts dazu. Imam Ali (a.s.) wandte sich an ihn: "Diese Dame ist deine Frau und beschwert sich über dich. Sie sagt, daß du sie ungerecht behandelt und aus dem Haus gejagt hättest. Du hättest gedroht, sie zu verprügeln. Ich ermahne dich, gottesfürchtig zu sein und deine Frau gut und freundlich zu behandeln."

Der Mann entgegnete: "Was geht es Dich an, wie ich meine Frau behandle? Ja, ich habe gedroht, sie zu verprügeln. Gerade weil sie Dich geholt hat, um an ihrer Stelle zu reden, werde ich sie bei lebendigem Leibe verbrennen." Imam Ali (a.s.) war über diese Dreistigkeit des jungen Mannes aufgebracht. Er griff nach seinem Schwert und sagte: "Du gibst mir solch eine Antwort auf meinen guten Rat und meinen Versuch, dich von einer verwerflichen Tat abzuhalten? Du sagst unumwunden, daß du diese Frau verbrennen wirst. Glaubst du, in dieser Welt wird keine Rechenschaft verlangt?"

Als Imam Ali (a.s.) seine Stimme erhob, sammelten sich die Passanten um sie. Jeder, der zu ihnen kam, machte eine Verbeugung vor Imam Ali (a.s.) und sagte: "Sei gegrüßt, Fürst der Gläubigen." Der stolze, junge Mann erkannte erst jetzt, mit wem er es zu hatte, bekam es mit der Angst zu tun und sagte flehentlich: "Vergib mir, Fürst der Gläubigen. Ich sehe meinen Fehler ein. Ich verspreche Dir, von nun an gütig zu meiner Frau zu sein und alle deine Anweisungen zu befolgen." Imam Ali (a.s.) wandte sich nun an die Frau: "Geh nach Hause, und sieh zu, daß du ihn zu solchen Taten nicht herausforderst." (22)

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