Die Unzufriedenheit der Khawaarij
Die Aussicht auf eine Waffenruhe zwischen Ali (ع) und Muawiyah (l) gefiel den Khawaarij nicht. Auf der einen Seite würde eine starke und stabile Regierung das Ende der Raubzüge und die Chance auf Kriegsbeute, von der ihr enormer Wohlstand abhing, bedeuten. Auf der anderen Seite wollten die Fanatiker unter ihnen einen Gottesstaat auf Erden errichten und glaubten, dies sei nicht möglich, solange Muawiyah (l) und Ali (ع) am Leben wären. Für die Khawaarij waren sie beide ehrgeizige Tyrannen, die unrechtmäßig die Macht anstrebten und ein gottloses Königreich auf Erden errichten wollten.
Das Komplott
Einige übriggebliebenen Khawaarij gingen nach der Schlacht von Nahrawan nach Mekka, um Zuflucht beim Haus Gottes, der Kaaba, zu finden. Hier hielten sie religiös-politische Treffen in denen Pläne geschmiedet wurden, wie sie ihre in Nahrawan gefallenen Angehörigen rächen könnten. Hier planten sie auch die Anschläge auf Ali (ع) und Muawiyah (l). Ein dritter Name wurde auf die Liste, der aus ihrer Sicht Gottlosen, ergänzt, der Name von Amr bin Aas. Sie befürchteten, dass der listige Richter das Kalifat nach dem Tode Muawiyahs (l) für sich beanspruchen würde.
Die drei kühnsten dieser mekkanischen Khawaarij, Abdur Rahman Ibn Muljim al-Sarimi, Burk Ibn Abdullah und Amr bin Bakr erklärten sich bereit, die Welt von diesen vermeintlichen Tyrannen zu befreien. Man einigte sich, dass Abdur Rahman Ali, Burk Muawiyah (l) und Amr den amtierenden Gouverneur Ägyptens Amr bin Aas ermorden würde.
Der Morgen des Freitags, des 19. Ramadan wurde für die Ausführung des Plans vereinbart. Die drei Attentäter tränkten ihre Schwerter in tödliches Gift und schworen ihre Feinde zu töten, oder aber für dieses heilige Vorhaben selber zu sterben. Dann trennten sie sich. Abdur Rahman nahm die Straße nach Kufa, Burk die nach Damaskus und Amr jene nach Ägypten.
Abdur Rahmans Heiratsantrag
Abdur Rahman erreichte Kufa und fing im geheimen an, Pläne auszuarbeiten. Aus einem unverhofften Viertel bekam er Unterstützung. Er verliebte sich leidenschaftlich in eine Frau, die einen großen Hass gegen Ali (ع) hegte. Dies war die bildhübsche Qutaum (l.) dessen Vater und Bruder, nach einer Überlieferung, oder ihr Onkel und Ehemann einer anderen Überlieferung nach, von Imam Ali (ع) in der Schlacht von Nahrawan getötet wurden.
Qutaum war außerordentlich hübsch und ein arabischer Chronist beschreibt ihr Gesicht als „ein Gesicht, was die gerechte Belohnung für einen Tugendhaften ist“ und mit „rabenschwarzen Locken, die gleich einem Zeichen der schändlichen Schuld des Bösen auf ihre Wangen fielen. Abdur Rahman war unfähig sich ihrer Anziehungskraft zu entziehen und als er ihr einen Heiratsantrag machte, erklärte sie sich bereit, unter drei Bedingungen seine Frau zu werden. Er sollte ihr dreitausend Dirham in bar als Brautgabe zahlen, ihr eine weibliche und einen männlichen Bediensteten anvertrauen und er sollte ihr den Kopf des Kalifen Ali (ع) bringen. Abdur Rahman war genau aus diesem Grunde nach Kufa gekommen, deshalb fiel es ihm nicht schwer allen drei Bedingungen zuzusagen. Qutaum (l) erklärte ihm, dass er Ali (ع) zu einem unerwarteten Zeitpunkt attackieren sollte. „Wenn du lebend entkommst“, fuhr sie fort, „werde ich deine Frau und du wirst ein glückliches Eheleben mit mir führen. Und wenn du dein Leben bei deinem Vorhaben verlierst, wirst du ein besseres Leben als hier mit einer armen Seele wie mich, im Paradies führen.“
Um ihrem Verehrer zu helfen bat Qutaum (l) einen Mann ihrer Sippe, der Werdan hieß, ihm in seinem Vorhaben zu unterstützen. Auch Shub’ibbin Bijrah vom Stamm der Ashiah wurde von ihr überredet dem Komplott zu helfen. Diese drei Verschwörer warteten nun ungeduldig auf den 19. Ramadan – dem festgelegten Tag für ihren grauenvollen Mordanschlag.
Muawiyah (l) überlebt mit einer Wunde
Burk ibn Abdullah hatte am vereinbarten Tag Damaskus erreicht. Er mischte sich unter die Menge der Betenden für das Morgengebet und griff Muawiyah, der dies im seidenen Gewand leitete, mit einem Schwert an. Es wird überliefert, dass sein Schwert ausrutschte und Muawiyah (l) an den Lenden verletzte. Burk wurde auf frischer Tat ertappt und gefangen genommen. Als er Muawiyah (l) vorgeführt wurde, prahlte er damit, dass sein Komplize Abdur Rahman in diesem Augenblick Ali (ع) in Kufa getötet habe. Muawiyah (l) antwortete darauf nur: „Vielleicht entging Ali (ع) dem Anschlag, genau wie ich.“ Dann befahl er seinen Männern, Burk die Füße abzuschlagen und seine Zunge herauszuschneiden. Burk wurde abgeführt um gequält zu werden und einen grausamen und schändlichen Tod zu sterben.
Muawiyahs (l) Wunde stellte sich als harmlos heraus. Seine Ärzte stellten ihn vor zwei Alternativen. Entweder an einer bestimmten Krankheit zu leiden, oder einen Trunk zu sich zu nehmen, der ihn Impotent machen würde. Muawiyah (l) entschied sich für die zweite Möglichkeit und sprach: “Meine zwei Söhne, Abdullah und Yazid (l), sind genug für mich. Mehr Kinder brauche ich nicht.“ Nach seiner Genesung war es nun sein Merkmal, dass er stets umfangreiche Sicherheitsvorkehrungen für sich traf. Ein Teil der Moschee wurde von nun an mit Soldaten mit blanken Schwertern besetzt, allzeit bereit, ihm herbei zu eilen. Muawiyah (l) war das Leben noch lieber als zuvor, als dass er das Risiko einginge es zu verlieren. Wie sehr sich seine Einstellung von Imam Ali (ع) unterschied, werden wir im weiteren Verlauf sehen.
Amr Bin Aas entrinnt dem Tod
In Ägypten traf Amr bin Bakr am Morgen des 19. Ramadan in der Moschee ein, um Amr bin Aas zu ermorden. Dieser hatte Glück im Unglück. Am besagten Tage wurde er von einem kolischen Anfall heimgesucht, sodass seiner statt sein Stellvertreter Kharja bin Huzafa das Morgengebet leitete. Amr bin Bakr kannte keinen von beiden und wusste von der Änderung nichts. Er erschlug Kharja mit einem einzigen Schwerthieb. Als er später von Amr bin Aas gefragt wurde, was sein Motiv sei, antwortete er: „Oh du elender Sünder! Der Schwerthieb hatte niemandem außer dir gegolten!“ „Bei Gott,“, erwiderte der verschlagene Gouverneur „du sollst erschlagen werden!“ Amr bin Bakr wurde unverzüglich auf eine grauenvollen Weise getötet.
Alis Nachtwächter in der Moschee in Kufa
Von den drei Attentätern war es Abdur Rahman, der die einfachste Aufgabe hatte. Ali (ع) hatte seit immer die Gewohnheit, Nacht für Nacht allein in der Moschee im Gebet zu verweilen. Für ihn war es nicht ungewöhnlich vom Sonnenuntergang bis zum nächsten Morgen die ganze Nacht im Gebet vertieft zu verbringen. Diese Angewohnheit beunruhigte seine wahren Anhänger. „Ist es nicht eine Torheit,“ sagten sie, „die ganze Nacht ohne eine Eskorte inmitten von Feinden allein in der Moschee zu verbringen? Wir, die ihm verbunden sind, werden ihn beschützen.“ Eine kleine Gruppe wechselte sich ab, ohne Imam Ali (ع) davon in Kenntnis zu setzen, Nachtwachen für ihn abzuhalten. Als er schließlich von jemandem davon in Kenntnis gesetzt wurde, sprach er zu seinen freiwilligen Nachtwächtern: „Seid ihr hier um mich vor den himmlischen Verfügungen oder den Anfeindungen der Gegner zu schützen?“ „Herr,“ antworteten sie, „wer kann euch vor den himmlischen Verfügungen schützen? Wir sind hier um euch vor den bösen und verräterischen Plänen der Feinde zu schützen. Wir sind nur hier, damit euch niemand verletzt oder angreift.“ Imam Ali (ع) sprach zu ihnen: „Denkt daran, dass das Schicksal jeder noch so unbedeutend erscheinenden Kreatur von Gott überwacht und kontrolliert wird.“ Er entließ die Wächter und verbat ihnen ihre Nachtwachen.
Das Märtyrium Alis
Imam Ali (ع) hatte die Rückkehr zu seinem Schöpfer einige Tage zuvor prophezeit. Am Tage seines Märtyriums bat er geheimnisvollerweise seine Söhne Hassan (ع) und Hussain (ع), das Morgengebet im Hause zu verrichten und ihn nicht wie gewöhnlich, zur Moschee zu begleiten. Als Ali (ع) sein Haus verließ, merkt S. Ockley in seinem berühmten Werk „The History of the Saracens“ an, fingen die Hausvögel an, einen großen Lärm zu machen. Als Alis (ع) Bedienstete sie beruhigen wollten, sprach der Imam (ع): „Lasst sie, ihre Schreie sind nur Wehklagen ihrer Vorahnung über mein Märtyrium.“
Der schicksalhafte neunzehnte Ramadan
Am 19. Ramadan betrat Hazrat Ali (ع) die Moschee zu Kufa für das Morgengebet. Er rief den Azaan und leitete dann das Morgengebet. Abur Rahman ibn Muljim gab vor mitzubeten. Er stand genau hinter Ali (ع) und als dieser sich Niederwarf schlug Abdur Rahman mit der ganzen Wucht seines Schwertes zu, die dem Imam (ع) eine tiefe Wunde am Kopf zufügte.
Der heilige Prophet (ص) hatte die Ermordung Alis (ع) und deren Hintergründe prophezeit. Über Ali (ع) sagte er: „Oh Ali, ich sehe vor meinen Augen, wie dein Bart im Blute deiner Stirn getränkt ist.“
Seine letzten Momente
Seine blutüberströmten Lippen bewegten sich zu einem Dankgebet, er sprach: „Herr, ich danke Dir, mich mit dem Märtyrium belohnt zu haben, wie gütig und gnädig Du doch bist. Möge Deine Gnade mich in das Reich Deiner Gunst und Deines Wohlwollens führen.“ Der Attentäter wurde gefasst und ihm vorgeführt. Als Hazrat Ali (ع) sah, wie die Fesseln in sein Fleisch schnitten, vergaß er seinen eigenen Schmerz und bat darum, dass man ihm die Fesseln abnehmen und ihn menschlicher behandeln solle. Von diesen Worten gerührt begann der Mörder an zu weinen. Ein Lächeln umspielte Imam Alis (ع) Lippen und mit schwacher Stimme sprach er: „Es ist nun zu spät um zu bereuen, du hast deine Tat bereits vollbracht. War ich dir ein schlechter Imam oder ein grausamer Herrscher?“ Mit Nachdruck befahl er, dass seinem Mörder keine Härte entgegen gebracht werden sollte. Er sollte vor seiner Exekution nicht gefoltert und sein Körper nicht verstümmelt werden. Seine Familienangehörigen sollten unter keinen Umständen wegen seines Verbrechens leiden und sein Besitz sollte nicht beschlagnahmt werden.
Imam Alis (ع) Gerechtigkeit war immer durch Gnade gemäßigt, sogar gegenüber seinen schlimmsten Feinden. Der Imam (ع) wurde aus der Moschee in sein Haus gebracht, wo er nun tödlich verwundet alle Fragen beantwortete, die ihm gestellt wurden. Er gab den Imamen Hassan (ع) und Hussain (ع) die letzten Ratschläge und schloss damit, dass sein Sarg nur von hinten angehoben werden solle. Die Vorderseite würde sich automatisch heben um sie zu führen. Dort wo der Sarg stehenbliebe, würden sie ein ausgehobenes Grab finden. Hazrat Ali (ع) bat seine Söhne darum, ihn im Geheimen zu begraben, damit die Feinde sein Grab nicht entweihen könnten. Der Sarg hielt in Najaf, ungefähr vier Meilen von Kufa entfernt.
Alis letzter Wille
Zu seinen Söhnen sprach Ali (ع): „Bleibt standhaft in Frömmigkeit und beugt euch dem Willen Gottes. Strebt niemals nach etwas, was ihr nicht erreichen könnt. Seit immer ehrlich und barmherzig gegenüber den Waisen. Helft den Armen und Bedürftigen und lebt in der Welt so, dass sie sich durch eure Hilfe bessert. Haltet den Tyrannen von seiner Unterdrückung ab. Unterstützt die Unterdrückten und haltet euch an die Gebote Gottes und lasst euch durch kein Hindernis aufhalten. Und als letztes bitte ich euch darum, mich an einem unbekannten Ort zu begraben. Ich habe nicht weniger als zehntausend Personen zu verschiedenen Anlässen erschlagen und ich möchte nicht, dass deren Verwandten meine Totenruhe stören und meinen Leichnam entwürdigen.“ Nach diesen Anordnungen an Hassan (ع) und Hussain (ع) wandte sich Imam Ali (ع) seinem dritten Sohn, Muhammad Ibn Hanfia zu: “Du hast gehört, was ich deinen beiden älteren Brüdern gesagt habe. Ich möchte, dass auch du dich daran hälst. Insbesondere trage ich dir auf, deinen älteren Brüder zu respektieren und ihnen zu gehorchen. Sie haben das Recht, den Treueeid von dir zu verlangen. Halte dich stets daran, was sie dir befehlen.“ Er gab nun alle in die Obhut seines ältesten Sohnes Hassan (ع), außer Abbas (ع). Dann hörte er den gerade zwölf Jahre alten Abbas weinen. Hazrat Ali (ع) bat ihn, näher zu kommen und gab seine Hand in die Hand seines zweiten Sohnes Hussain (ع): „Hussain, dieses Kind vertraue ich dir an. Er wird mich am Tage deines großen Opfers vertreten und sein Leben für dich und deine Lieben geben.“
Und zu Abbas sagte er: “Abbas, mein Kind, ich weiß, wie sehr du Hussain liebst. Wenn der Tag gekommen ist, so denke stets daran, dass kein Opfer zu groß ist für Hussain und seine Kinder.“
Danach, an die anderen Familienangehörigen gerichtet, fuhr er fort: „Oh ihr Haschemiten, vergießt kein muslimisches Blut, nachdem ich von euch gegangen bin und tötet niemanden außer meinen Mörder.“
Bis zum letzten Augenblick sprach Imam Ali (ع) über das Gut der muslimischen Gesellschaft die Anordnungen, die im heiligen Quran manifestiert sind, zu erfüllen und sich dem Willen Gottes zu unterwerfen. Wiederholend rief er den Namen Gottes aus und immer wieder rezitierte er das Bekenntnis an den einzigen Gott und der göttlichen Berufung des heiligen Propheten (ص). Der Imam (ع) überlebte die tödliche Wunde drei Tage lang. Bei Anbruch des dritten Tages herrschte Stille.
Die Kanzel in der Moschee zu Kufa
Ibn Jubayr überliefert: “In der Moschee zu Kufa befindet sich eine Kanzel, die von einem Kreis Treppen aus Sandelholz umgeben ist. Sie ist über dem Hof erhöht und ist wie eine kleine Moschee. Diese Kanzel ist ein Denkmal an Amir al-Mumineen Ali ibn Abi Talib (ع) und genau an dieser Stelle war es, an der der elende und verfluchte Abdur Rahman ibn Muljim den Imam (ع) mit dem Schwert tödlich verletzte. Die Menschen pilgern hierher um dem Imam (ع) ihren Gruß zu erweisen, zu beten und zu weinen.“
___________________
übersetzt von S. Yamin Naqvi
Quelle: http://www.abuturab.org/, Übersetzung weicht vom Original leicht ab