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Muslim-Markt interviewt Kay Sokolowsky, Autor des Buches "Feindbild Moslem"

Muslim-Markt interviewt Kay Sokolowsky, Autor des Buches "Feindbild Moslem"

 

Kay Sokolowsky (Jahrgang 1963) studierte Germanistik, Geschichte und Philosophie. Er ist seit 1991 als freier Journalist (u. a. für junge Welt, Jungle World, konkret, taz und Frankfurter Rundschau), Redakteur und Buchautor tätig.

 

Im Wintersemester 2002 leitete er als Gastdozent an der Universität
Hamburg ein Seminar über die Neue Frankfurter Schule und ihre Folgen
für die "Harald Schmidt Show".
Neben Film- und Buchkritiken,
literarischen Arbeiten und satirischen Texten widmet er sich vor allem
politischen und zeithistorischen Sujets. Über den latenten und offenen
Rassismus in Deutschland hat er in Büchern wie "Lügner, Fälscher,
Lumpenhunde" oder "Der Dolch im Gewande" sowie in der Zeitschrift
konkret zahlreiche Beiträge veröffentlicht.

Sokolowsky wohnt mit seiner Lebensgefährtin in Hamburg. Er ist ein
passionierter Hobbykoch, mag Computerspiele und hat keine Kinder.

 

MM: Gemeinsam mit dem Autor Jürgen Roth haben Sie zwei Bücher über
Verschwörungstheorien verfasst ("Wer steckt dahinter?" und "Der Dolch
im Gewande"). Sind Sie ein Verschwörungstheoretiker?

 

Sokolowsky: Nein. Eher könnte man mich einen
Verschwörungstheoretiker-Kritiker nennen. Das ist natürlich furchtbar
umständlich und klingt ziemlich bescheuert. Mir fällt allerdings kein
besserer Name für das ein, was Jürgen Roth und ich in unseren Büchern
getrieben haben: Kritik der Verschwörungstheorie.

 

MM: Wie ist das zu verstehen?

 

Sokolowsky: Wir haben einerseits die realen, historisch belegten
Komplotte untersucht - von der Ermordung Julius Caesars bis hin zu den
Attentatsplänen der CIA gegen Fidel Castro. Andererseits haben wir uns
die populärsten Verschwörungstheorien, die im Umlauf sind, vorgeknöpft.
Ob es nun um die zahllosen Spekulationen rund um die Erschießung John
F. Kennedys geht oder um "Die Protokolle der Weisen von Zion": Wir
haben festgestellt, dass es sich bei so gut wie allen sogenannten
Verschwörungstheorien in Wirklichkeit um Verschwörungsphantasien
handelt.

 

Die Verschwörungstheoretiker arbeiten mit lauter Vermutungen,
missverstandenen Fakten, Verdächtigungen und einer ziemlich
abenteuerlichen Logik. Sie sind äußerst anfällig dafür, hinter dem
Unheil - das es in der Welt tatsächlich gibt, und zwar in
unerträglicher Menge - einen gewaltigen Masterplan von unendlich
mächtigen Verbrechern zu vermuten. Aber all diese Verschwörungstheorien
sind wie gigantische, bunt schillernde Seifenblasen: Sticht man hinein,
platzen sie auf und hinterlassen einen schmierigen Fleck.

 

MM: Sie lassen jene Verschwörungstheorien aber nicht nur "aufplatzen", sondern weisen auch auf Probleme hin ...

 

Sokolowsky: Verschwörungstheorien sind enorm gefährlich. Indem sie
bestimmten Gruppen von Menschen - am "beliebtesten" sind hier "die
Juden" - unterstellen, hinter buchstäblich jeder Gemeinheit und jedem
Verbrechen unserer Zeit zu stecken, vernebeln sie den Blick auf die
Realität und schüren Vorurteile. Verschwörungstheorien sind in der
Regel äußerst kompliziert gestrickt. Aber im Kern machen sie sich die
Welt ganz einfach: Auf der einen Seite stehen die vielen Unschuldigen,
die Millionen Unwissenden, die zur Schlachtbank geführt werden, und auf
der anderen übermenschlich böse Kräfte, eine Clique von Superschurken,
gegen die kein Kraut gewachsen ist. Aber so einfach ist die Welt nun
einmal nicht. Und wir werden die Probleme, die unser Planet hat, ganz
bestimmt nicht lösen, indem wir uns einbilden, die wirklich
entscheidenden Dinge würden allesamt im Geheimen ausgekungelt, und uns
Bürgern bliebe nichts anderes übrig als auszubaden, was von den
Superschurken in ihren Hinterzimmern ausbaldowert wird.

 

MM: Was bewegt jemanden, der über Harald Schmidt, Alice Schwarzer
und Michael Moore schreibt, sich dem "Feindbild Muslim" zu widmen?

 

Sokolowsky: Das passt auf den ersten, sehr flüchtigen Blick in der
Tat nicht zusammen. Doch so sprunghaft, wie es scheint, bin ich als
Autor nicht. Obwohl mehrere Jahre vergangen sind, seit Jürgen Roth und
ich unsere Bücher über Verschwörungstheorien veröffentlicht haben,
behalte ich das Thema weiterhin im Auge. Und vor einiger Zeit ist mir
aufgefallen, dass die Verschwörungsphantasie von den bösen Muslimen,
die die ganze Menschheit unterjochen wollen, immer populärer wird, dass
sie mittlerweile schrecklich erfolgreich ist.

 

Ein Buch über dieses Thema zu schreiben, über die Erschaffung eines
Feindbilds namens Moslem, beschloss ich aber erst, nachdem ich mir vor
etwa anderthalb Jahren sehr gründlich angesehen hatte, mit wie viel
Verfolgungswahn, Menschenverachtung, Hass und Bosheit auf zahllosen
Internet-Websites gegen Muslime in Deutschland gehetzt wird. Allen
voran ist hier das Weblog "Politically Incorrect" zu nennen. Mir war
vorher gar nicht bewusst, was für ein dumpfer, rassistischer Sumpf sich
da gebildet hat, und mit welcher Unverschämtheit und Brutalität hier
migrantenfeindlicher Dreck geschleudert wird. Nach dieser ersten
Recherche zum Muslimhass in Deutschland war mir klar, dass ich mich
hier als Autor einzumischen habe, dass ich meiner Empörung über diese
widerliche Hetzerei Ausdruck verschaffen muss.

 

Aber mit der Empörung allein ist es ja nicht getan. Deshalb ist
"Feindbild Moslem" ein Buch geworden, in dem haarklein nachgewiesen
wird, warum der Muslimhass eine Form des Rassismus ist und weshalb die
Behauptungen der Muslimhasser haltlos und niederträchtig sind. Ob sie
nun Henryk M. Broder oder Ralph Giordano, Stefan Aust oder Necla Kelek
heißen - sie alle malen an einem Alptraumgemälde, das "die Muslime" als
größte Bedrohung der Deutschen, ja der ganzen Welt erscheinen lässt.
Und sie haben, leider, bei sehr vielen deutschen Lesern enormen Erfolg
mit ihren Übertreibungen, Unterstellungen und paranoiden Thesen.

 

MM: Waren Sie über das Ausmaß der Islamfeindlichkeit überrascht?

 

Sokolowsky: Mich entsetzt es, welcher Respekt diesen Leuten für ihre
üblen Thesen gezollt wird, wie sie durch die Talkshows geradezu mit
Händen getragen und mit Ehrungen überhäuft werden. Das ist ein
Riesenskandal, über den so gut wie gar nicht geredet wird. Im Gegenteil
- ein großer Teil der deutschen Medien und des deutschen Publikums ist
Autoren wie Broder und Kelek geradezu dankbar für ihre Schmähungen und
ihre Tiraden gegen Muslime. Sehr viele Deutsche haben ein großes
Problem mit Menschen islamischen Glaubens. Aber sie wollen nicht hören,
dass jedes Problem mindestens zwei Seiten hat. Viel lieber hören sie,
dass an allen Problemen zwischen Muslimen und Nichtmuslimen einzig und
allein die Muslime schuld sind. Aber, wie schon gesagt: So einfach ist
die Welt nicht. Und wer sie so einfach machen will, der führt nichts
Gutes im Schilde, der will auch nicht, dass ein schlechter Zustand sich
bessert, im Gegenteil. Hier werden Angst und Hass gesät, und die Saat
geht auf. Die beklagenswerte Frau, die in Dresden ermordet wurde, nur
weil sie Muslima war, wird nicht das letzte Opfer dieses Hasses sein,
fürchte ich.

 

Bei der Recherche zu "Feindbild Moslem" traf ich übrigens auch
wieder mit Aussagen der bekennenden Islamfeindin Alice Schwarzer
zusammen. Über sie hatte ich vor zehn Jahren ein alles andere als
freundliches Buch geschrieben und eigentlich gehofft, mich anschließend
nie wieder mit dieser überschätzten, peinlichen Dame befassen zu
müssen. Aber nicht jede Hoffnung wird erfüllt.

 

MM: Bestärkt Sie der Fall Sarrazin in Ihrer Publikation, die vor seinen Äußerungen veröffentlicht wurde?

 

Sokolowsky: Die ekelhaften Sprüche Thilo Sarrazins bestätigen das,
was ich über Muslimhass schreibe, und sie bestärken mich auch darin,
weiter gegen diese Form des Rassismus zu kämpfen. Aber gleichzeitig bin
ich fassungslos darüber, wie dieser Mann mit den Halbwahrheiten und
Lügen davonkommt, die er verbreitet. Wie weit muss die Feindseligkeit
gegen die Muslime in Deutschland mittlerweile gediehen sein, wenn solch
ein Brandstifter seinen Spitzenjob in einer Bundesbehörde behalten
darf? Wenn weder die Bundeskanzlerin noch der Finanzminister es für
nötig halten, sich energisch dagegen zu verwahren, dass ein
Vorstandsmitglied der Bundesbank - ihr Angestellter! - solchen Unflat
verbreitet, wenn sie überhaupt nichts dazu sagen, sondern
stillschweigend dazu lächeln? Und wenn 51 Prozent der Deutschen
glauben, er habe recht mit seinen Hetzsprüchen?

 

Die Situation, das habe ich am Fall Sarrazin gelernt, ist noch übler
und bedrohlicher, als ich in meinem Buch beschrieben habe. Mir wäre es
lieber, wenn ich sagen könnte: "Ach, Kay, da hast du aber übertrieben."
Aber seit Sarrazin weiß ich, dass ich mit meiner Analyse eher
untertrieben habe..

 

MM: Nun schreiben Sie selbst auch für Veröffentlichungen wie Jungle
World und taz, die zumindest von einer ganzen Reihe von Muslimen als
Muslimfeindlich eingestuft werden. In wie weit haben Sie auch ihre
"Arbeitgeber" kritisiert?

 

Sokolowsky: Ich teile die Einschätzung nicht, dass diese Zeitungen
muslimfeindlich sind. Muslime - ebenso wie Christen, Hindus oder Juden
- sollten es aushalten können, wenn ihre Religion kritisch hinterfragt
wird, wenn auf Unrecht hingewiesen und gefragt wird, ob dieses Unrecht
politische oder religiöse Motive hat. Die Antworten in taz oder Jungle
World fallen, denke ich, sehr differenziert aus. Stimmen die Antworten
nicht, kann man ihnen in diesen Zeitungen widersprechen, es gibt dort
keine einseitige "Blattlinie" wie einst im "Spiegel" unter dem
muslimfeindlichen Chefredakteur Stefan Aust.

 

Ich
bin sicher - und habe das in meinem Buch auch mehrmals geschrieben -,
dass die allermeisten Muslime Gewalt, Fanatismus und Unterdrückung
verabscheuen. Und ich bin ebenso sicher, dass die Redakteure der Jungle
World oder der taz denken wie ich. Sonst könnte ich dort auch nicht
mehr veröffentlichen. Es war die Jungle World, die einen Vorabdruck aus
meinem Buch publizierte. Ein taz-Redakteur moderiert die Buchpremiere
von "Feindbild Moslem". Würden bei diesen Zeitungen die Islamhasser das
Sagen haben, hätten sie und ihre Redakteure mich und mein Buch
ignoriert.

 

Um es auf den Punkt zu bringen: Muslimfeindschaft, wie Broder oder
"Politically Incorrect" sie predigen, bedeutet, jedem gläubigen Muslim
zu unterstellen, er sei ein Feind der Menschenrechte, der Aufklärung,
der westlichen Werte, er sei ein Schmarotzer, ein Dieb, ein Betrüger,
ein Sadist und potenzieller Terrorist. Das ist purer Rassismus und
blanke Volksverhetzung. Davon handelt mein Buch. Aber solche Aussagen
habe ich bis heute weder in der taz noch in der Jungle World gefunden.
Diese Zeitungen bauen nicht am "Feindbild Moslem" mit. Und darum hatte
ich auch keinen Grund, sie in meinem Buch zu kritisieren.

 

MM: Von "FAZ" bis "Spiegel" hingegen bleibt berechtigterweise kaum
jemand ungeschoren bei der Aufzählung Ihrer Beispiele. Was kann aber
Otto-Normal-Bürger, der eigentlich keine Feindseligkeit gegenüber
seinen muslimischen Mitbürgern verspürt, gegen diese subtile
Meinungsmache tun, um nicht davon beeinflusst zu werden?

 

Sokolowsky: Das ist die schwierigste Frage, die Sie mir stellen
konnten. Wenn ich darauf nur eine patente Antwort wüsste. Wenn ich bloß
wüsste, wie man gegen die permanente antimuslimische Stimmungsmache
ankäme, die unsere Medien und leider auch die Politik beherrscht!

 

Ich denke, dass hier nur der eigene Verstand hilft. Gegen Vorurteile
hilft nur, sich ein eigenes, realistisches Urteil zu bilden. Gegen die
Angst vor dem Fremden, dem Anderen, dem Unbekannten hilft nur, das
Unbekannte kennenzulernen, im Anderen erst einmal einen Menschen zu
sehen, die Fremdheit durch Begegnung zu überwinden.

 

MM: Was kann das praktisch bedeuten?

 

Sokolowsky: Je besser die Deutschen mit deutschen Eltern ihre
Mitbürger mit türkischen oder arabischen Eltern kennenlernen, desto
weniger leicht werden sie auf das Gehetze der Muslimhasser
hereinfallen. Statt ständig darauf zu schielen, wo sich die einen von
den anderen Deutschen unterscheiden - und sie sind ja alle Deutsche,
egal was sie glauben! -, sollten sie alle schauen, was sie verbindet.
Denn das ist viel mehr als das, was sie trennt. Muslime wie Christen
denken nicht pausenlos an Jesus oder Allah, sondern ebenso an ihren
Arbeitsplatz, die Hypothek fürs Haus, die Erziehung der Kinder, die
Reparatur des Autos, den Preis fürs Suppenhuhn. Es sind die
Hassprediger, die den Blick auf diese alltäglichen Gemeinsamkeiten
verblenden wollen - die Hassprediger in den Hinterhofmoscheen und die
Hassprediger in den Medien wie Broder, Udo Ulfkotte, Necla Kelek oder
Giordano. Und leider hört man in unseren Medien viel mehr von den
Hasspredigern beider Seiten als von den Versöhnern.

 

Die Hassprediger wollen uns einreden, dass "der Andere" kein Mensch
ist, sondern eine Bedrohung, eine Gefahr, ein Feind. Darauf dürfen wir
nicht hereinfallen - egal, an welchen Gott wir glauben, ganz gleich,
welche moralischen Vorstellungen uns leiten. Im selben Augenblick, in
dem wir einen anderen Menschen nicht mehr als Menschen wahrnehmen,
sondern nur noch als "den Muslim" oder "den Schweinefleischfresser",
sind wir auch schon bereit, diesen Anderen zu vernichten. Denn wir
erkennen ihn nicht mehr als Menschen, der leidet, der Schmerz
empfindet, sondern nur noch als Stellvertreter eines Klischees. Und für
Klischees haben wir kein Erbarmen und kein Mitgefühl. Klischees können
wir quälen, ohne ein schlechtes Gewissen zu bekommen. Ohne Klischees
gäbe es keine rassistischen Morde.

 

MM: Wie können wir denn aufeinander zugehen, wenn es doch auch Unterschiede gibt?

 

Sokolowsky: Wir müssen einander nicht überschwänglich lieben, wir
müssen nicht alles toll und großartig finden, was der Mensch nebenan
tut. Aber wir müssen uns als Menschen respektieren, uns gegenseitig
ernst nehmen und miteinander reden.

 

Menschen werden niemals immer einer Meinung sein; ich finde es gut,
wenn die Meinungen auseinandergehen. Es geht bei Diskussionen aber
stets darum, den Anderen als Menschen zu achten. Seine Meinung zu
respektieren. Über seine Worte nachzudenken, bevor man sie beurteilt.
Wenn wir das tun, haben Hassprediger, egal woher sie stammen und welche
Ideologie sie verbreiten, keine Chance mehr.

 

Es ist nichts Verwerfliches am Streit. Menschen können endlos
miteinander streiten und dabei viele Tassen Kaffee trinken -
miteinander! In jedem Streit steckt der Wunsch, zu einem gemeinsamen
Ziel zu kommen, mag dies auch sehr, sehr lang dauern. Aber die
Ideologen und Feindbildhauer wollen nicht streiten, sondern ein tiefes
Zerwürfnis erzeugen. Sie wollen, dass die Parteien nicht mehr
miteinander reden, sondern sich gegenseitig anschreien und diffamieren.
Die Feindbildhauer sind primitive Köpfe, angst- und hasserfüllt. Von
ihnen handelt mein Buch, von diesen Förderern der Angst und des
Abscheus. Und vielleicht kann mein Buch dazu beitragen, dass
"Otto-Normal-Bürger" nicht mehr so leicht auf Autoren wie Broder oder
Necla Kelek hereinfällt oder auf Hassprediger wie Thilo Sarrazin. Dann
hätte ich sehr viel erreicht.

 

MM: Wir wünschen Ihnen viel Erfolg und danken für das Interview.

 

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