Der Qur´an, der Vers für Vers und Sure für Sure offenbart wurde, erlangte wegen seines außergewöhnlich hohen rhetorischen und stilistischen Wertes einen steigenden Ruhm unter den Arabern, die der Sprachgewandtheit eine erstaunlich große Aufmerksamkeit schenkten. Sie kamen bisweilen aus den weit entlegenen Orten zu dem Propheten (s.), um einige Verse zu hören und sie auswendig zu lernen.
Die führenden Männer der Stadt und die Einflussreichen der Quraisch[2], die Götzenvertreter und erbitterte Feinde des Islam waren, versuchten, die Menschen von dem Propheten (s.) möglichst fernzuhalten. Sie redeten den Arabern ein, dass der Qur´an ein Zauberbuch sei, um ihnen Angst zu machen und sie vom Zuhören abzuhalten.
Doch sie kamen heimlich nachts im Schutze der Dunkelheit, ohne Wissen ihrer Verwandten, Vorgesetzten und Untergebenen, ließen sich irgendwo am Hause des Propheten (s.) nieder und lauschten seiner Stimme, wenn er den Qur´an rezitierte.[3] Die Muslime bemühten sich andererseits, den Qur´an auswendig zu lernen und ihn aufzuzeichnen, weil sie das Wort Gottes als ihre einzige religiöse Urkunde betrachteten und darüber hinaus verpflichtet sind, während des rituellen Gebetes die Eröffnungssure und einige andere Teile des Qur´an zu rezitieren, und weil der Prophet (s.) beauftragt war, sie den Qur´an und andere islamische Gebete zu lehren.[4]
Dieses Verfahren wurde nach der Auswanderung des Propheten nach Medina, wo eine unabhängige islamische Gemeinschaft gegründet wurde, systematisiert. Auf Anweisung des Propheten befasste sich eine große Gruppe von seinen Gefährten mit dem Lesen des Qur´an sowie dem Lernen und Lehren islamischer Gebote, die Tag für Tag offenbart und vervollständigt wurden. Sie wurden sogar auf ausdrückliche qur´anische Anordnung vom Wehrdienst befreit.[5]
Da die meisten Helfer des Propheten, insbesondere die von Mekka nach Medina ausgewanderten Gefährten, ungebildet und Analphabeten waren, wurden auf Anweisung des Propheten (s.) die jüdischen Kriegsgefangenen als Lehrer der damaligen Schrift, die sehr einfach und leicht zu lernen war, herangezogen. Auf diese Weise wurde eine Gruppe von schriftkundigen Muslimen ausgebildet.
Diejenigen aus dieser Gruppe, die sich mit dem Lesen, Auswendiglernen und Aufzeichnen der Suren und Verse befassten, wurden Qur´an-Leser genannt. Aus dieser Gruppe starben 40 oder gar 70 Personen in der Schlacht von Birmauna.[6]
Der allmählich offenbarte Qur´anische Text wurde auf Brettern, Schulterknochen von Kamelen, Palmenstängeln und ähnlichen Gegenständen geschrieben und aufbewahrt. Es ist eine unbestreitbare Tatsache, dass die Kenntnisse über die meisten qur´anischen Verse bereits vor dem Tode des Propheten (s.) unter den Muslimen weit verbreitet waren. In Hunderten von Überlieferung, die sowohl von den Sunniten als auch von den Schiiten über die Art und Weise der Propagierung des Islam durch den Propheten und seine Gefährten vor dem Tode des Propheten sowie über die rituellen Gebete, die er verrichtet hat, und die Art, wie er den Qur´an verlas, überliefert worden sind, begegnen wir den Namen dieser Suren.
Darüber hinaus finden sich Überlieferungen, die aus den Lebzeiten des Propheten berichten und in denen die Namen, die in der frühislamischen Zeit für die Bezeichnung der Suren üblich waren, vorkommen. Wie z.B. Tawwal, Mi'in, Mathani und Mufassalat.
[1] Arabische Bezeichnung für einen Einband, ein gesammeltes Werk oder vergleichbare vollständige Zusammenstellung
[2] Dominierender Stamm in Mekka
[3] Vgl. Durr al-Mamur, Band 4, Seile 187
[4] Vgl. Heiliger Qur´an 16:44 und viele andere Verse
[5] Vgl. Qur´an 9:122
[6] Itqan, Band 1, Seite 72