Frage: Wie ist die Fatwa des geehrten Religionsoberhauptes Großayatollah Imam Khamenei bezüglich des Fahrradfahrens zu verstehen?
Antwort: In jeder Gesellschaft gibt es Traditionen, die in anderen Befremdlichkeit oder gar Ablehnung hervorrufen könnten. Der Islam respektiert die Traditionen, die nicht im Widerspruch zu den eigenen grundlegenden Werteprinzipien stehen und erkennt sie als Kriterium für die Bildung von Rechtsurteilen für Menschen in unterschiedlichen Regionen an.
Beispielsweise ist es in vielen östlichen Kulturen angebracht sich vor seinen Gästen zu erheben oder dass man in öffentlichen Verkehrsmitteln seinen Platz Frauen und älteren Menschen anbietet, um ihnen seine Hochachtung auszudrücken. Geografische, aber auch soziokulturellen Faktoren können Traditionen hervorrufen, die in einigen Gesellschaften und Kulturen eher akzeptiert und in anderen hingegen eher verpönt sind. Das Fahrradfahren kann als ein Beispiel für diese Thematik aufgeführt werden, welches in einigen Regionen als Entwürdigung der Frau verstanden werden kann, doch in anderen als Normalität angesehen wird.
Das Fahrradfahren ist aus religionsrechtlicher Sicht an und für sich erlaubt. Doch wie bei jeder anderen aus religionsrechtlicher Sicht erlaubten Angelegenheit auch, müssen gesellschaftliche Normen und Traditionen berücksichtigt werden, sollten sie bei einer Angelegenheit Impulse ausschlagen. Wenn das Fahrradfahren der Frauen bspw. aufgrund gesellschaftlicher und kultureller Normen als unangebracht für die Würde und Keuschheit der Frau angesehen wird, zieht es unweigerlich die Aufmerksamkeit von fremden Männern auf sich, wenn man in der Öffentlichkeit Fahrrad fahren sollte. Ebenfalls ist eine Angelegenheit beispielsweise zu unterlassen, falls dadurch die persönliche Sicherheit in erwiesenem Ausmaß gefährdet wird. Dies ist nicht nur auf das Fahrradfahren bezogen, sondern stellt einen allgemeinen Grundsatz dar. Somit stellt sich beim Fahrradfahren, dem kein unabhängiges Urteil in der Scharia zugrunde liegt, die grundlegende Frage, ob in einer Region das Fahrradfahren angebracht ist oder nicht. Die Beantwortung dieser Frage obliegt jedem selbst. Sollte man es bejahen, ist es zu unterlassen und sollte man es verneinen können, so besteht darin kein Problem.
Nach meinem Verständnis gibt es in europäischen Ländern, in denen das Fahrradfahren von Frau und Mann heutzutage nicht als ein Aspekt entgegen der Würde und Keuschheit des Menschen gilt, keine Hindernisse diesbezüglich.
Der Friede und Segen Gottes sei mit euch.
Dr. Hamidreza Torabi
Direktor der Islamischen Akademie Deutschland
source : abna24