2.17 Und nun zum großen Plus des Islam
Ebenso wie die Religion im Verhältnis zu weltlichen Gesellschaftsordnungen eine Sonderstellung
einnimmt, zeichnet sich auch der Islam – verglichen mit den übrigen Religionen – durch ihn
charakterisierende Vorzüge aus.
Diese Realität wird anhand folgender Gegenüberstellung deutlich:
- 29 -
2.17.1 Der Islam im Vergleich zu anderen Religionen
Unter allen Religionen ist der Islam die einzige, die hundertprozentig „sozial“, das heißt dem
gesellschaftlichen Leben des Menschen – abgesehen von dessen individuellem – volle
Aufmerksamkeit schenkt und entsprechende Richtlinien anbietet.
Die Richtlinien und Belehrungen des Islam sind nicht wie die heutigen christlichen Lehren, die
ihr Augenmerk im wesentlichen auf das jenseitige Glück der menschlichen Gesellschaft richtet,
zu deren irdischem Wohlergehen jedoch mehr oder weniger schweigt. Und sie sind auch nicht
wie die des heutigen Judentums, dem es allein um Belehrung und Wohl eines einzigen – des
jüdischen – Volkes geht.
Das, was der Islam lehrt, beschränkt sich auch nicht lediglich auf ein paar ethische und
gottesdienstliche Themen. Vielmehr betrifft das, was er sagt, Erziehung, Entwicklung, Bildung
sowie das dies- und jenseitige Wohlergehen aller Menschen. An welchem Ort und zu welcher
Zeit sie auch seien mögen.
Anders könnte es auch gar nicht sein, da ansonsten eine Reformierung der gesamten Menschheit
und das Glück aller Menschen nicht möglich wären. Denn erstens..., wollte man nur eine
Gesellschaft oder Bevölkerung von all den vielen, die es auf Erden gibt, reformieren, die übrigen
aber nicht, so wäre das – angesichts der immer enger werdenden Beziehungen und Kontakte
zwischen den Ländern und Nationen – ein fruchtloses Unterfangen. In etwa wie das Klären eines
einzigen Wassertropfens in einem Bassin oder See voll schmutzigen Wassers.
Und zweitens: Die Berichtigung nur einer einzigen Gesellschaft – unter Ausschluss der vielen
anderen – widerspricht dem universalen Reformgedanken, d.h. dem Bestreben, die Menschheit
insgesamt zu korrigieren bzw. zu reformieren.
Im Islam sind sämtliche Gedanken und Fragen, die sich der Mensch im Zusammenhang mit der
Schöpfung der Welt und seinerselbst stellt, berücksichtigt worden. Zudem all das, was zu des
Menschen Entwicklung bzw. Dekadenz führt, die Vielfalt seines Tun und Lassens im
gesellschaftlichen sowie individuellen Leben und vieles andere Interessante und Wissenswerte
mehr.
Was Überzeugung und Denken betrifft, so ist im Islam das, welches getragen ist von Objektivität
und somit vom Tawhid-Gedanken7 von Wert, weshalb es die Basis aller übrigen Überlegungen
sein sollte.
Zur Ethik im Islam soviel: Sie geht konform mit der Vernunft und fußt auf dem Tawhid-Prinzip.
Zudem gibt der Islam eine Reihe von Weisungen an die Hand, die ebenfalls von der
menschlichen Vernunft akzeptiert werden, da sie mit dieser harmonieren. Diese Bestimmungen
und Gebote berücksichtigen sämtliche Details des menschlichen Lebens und machen die
individuellen als auch sozialen Rechte und Pflichten deutlich..., für Mann und Frau, schwarz und
7 Tawhid: Gewissheit von dem Eins- und Einzigsein Gottes. Ein-Gott-Bekennen
- 30 -
weiß, jung und alt, Städter und Landbewohner, Arbeitgeber und Arbeitnehmer, für Vermögende
und Nicht-Vermögende, in Normal- und Ausnahmesituationen.
Im 24. Vers der Sure 14, Ibrahim, heißt es:
سمَاءِٓ _ بِتٌ۬ وَفَرۡعُهَا فِى ٱل . بَةٍ أَصۡلُهَا َ + بَةً۬ كَشَجَرَةٍ۬ طَي + كَلِمَةً۬ طَي
Weißt du nicht, was Gott über ein gutes Wort sagt? Es ist wie ein guter Baum, dessen
Wurzel fest ist und dessen Zweige in den Himmel reichen.
Wer sich mit der islamischen Theologie und den Maximen der islamischen Ethik, sowie Fiqh-
Wissenschaft8 befasst, erkennt eine Weite, die sein Erfassen übersteigt. Der Vielfalt und Tiefe
ihrer zahllosen Aspekte, Momente und Dimensionen, die wiederum untereinander in
harmonischer Verbindung stehen und der Mannigfaltigkeit ihrem Nuancen und Stufen, die
ineinander übergehen und eine Einheit bilden, ist der begrenzte Menschenverstand nicht
gewachsen. Diese Gesamtheit, diese „Einheit“ wurde dem Propheten (s.a.a.s.) von dem Einzigen
Gott offenbart, auf das er sie den Menschen vermittle und nahe bringe, zu deren Gedeihen,
Vervollkommnung und Gottesdienerschaft;
2.17.2 Ein Vergleich zwischen Islam und anderen Gesellschaftsordnungen
Wenn wir die sogenannten fortgeschrittenen Gesellschaften ein wenig eingehender betrachtet,
wird uns klar, das deren Wissenschaften und industrielle Entwicklung – auch wenn sie imposant
ist und in der Lage versetzt, Mond und Sterne zu erreichen und eine erstaunliche Technologie
hervorzubringen – dennoch eine „heile und glückliche Welt“ nicht zu schaffen vermochte.
Darum, weil selbiger Fortschritt bei aller Anerkennung, der ihm zu zollen ist – und sämtliche
„modernen“ Gesellschaftsmethoden Tor und Tür zu einer unheilvollen Zukunft öffneten.
Beweis dafür sind u.a. die beiden Weltkriege, die sich infolge eines einzigen Vierteljahrhunderts
zutrugen, und zu entsetzlichem Blutvergießen und Elend sowie dem Tode Millionen unschuldiger
Menschen führten. Doch damit nicht genug. Die Menschheit ist von einem dritten Weltkrieg
bedroht, der ihre völlige Vernichtung verheißt.
Ganz abgesehen davon ist im Rahmen dieser besagten und recht suspekten „Entwicklung“, die
soviel Leid und Not heraufbeschwor, den übrigen, das heißt schwächeren und nicht bzw. kaum
entwickelten Völkern dieser Erde der Stempel „Knechtschaft“ und „versklavt“ auf die Stirn
gedrückt worden. Im Namen der „Freiheit“.
Vier große Kontinente werden in Ketten gelegt, unter das koloniale Joch gezwungen und
genötigt, sich bedingungslos dem europäischen Kontinent zu fügen. Und auch heute ist es nicht
anders. Die „Supermächtigen“ sind es, die auf Erden das Sagen haben. Eine kleine Gruppe nur,
die jedoch den Ton angibt und sich anmaßt, über Leben und Tod, über Eigentum und Ehre Aberund
Abermillionen Menschen dieses Erdenrundes zu bestimmen.
8 Fiqh: Islamisches Rechtsverständnis
- 31 -
Allerdings..., es ist nicht zu leugnen, dass die fortgeschrittenen Nationen selbst in relativen
Wohlstand leben. Recht viele ihrer Ziele haben sie erreicht, unter anderem wissenschaftliche und
technologische Errungenschaften. Ganz abgesehen davon, das sie in ihren eigenen Ländern der
sozialen Gerechtigkeit näher gekommen sind. Dennoch, auch sie waren und sind von Unheil und
Miseren bedroht. Ganz zu schweigen von dem ungeheuren Kriegselend, in das sie aufgrund ihrer
internationalen Konflikte bzw. Politik hineingeschlittert waren und das weltweite Ausmaß fand.
Augenblick für Augenblick steuert die Menschheit einer weiteren Katastrophe entgegen, die ohne
Zweifel bittere und grauenvoller sein wird als die vorangegangenen.
Offenkundig ist, dass all diese „süßen und bitteren Früchte“ die Ernte des Baumes „Zivilisation
und gesellschaftliches Leben“ sind..., das direkte Ergebnis der Vorgehensweise jener
Gesellschaft, die sich dem äußerlichen Schein nach auf dem Weg des Fortschritts befinden.
In diesem Zusammenhang sei an folgendes erinnert, das nicht vergessen werden sollte. Und zwar:
Die positiven, der Menschheit zum Wohle gereichenden Errungenschaften – das heißt die
erfreuliche Ernte dieses besagten Baumes „Zivilisation und gesellschaftliches Leben“ – sind
zweifellos durch das Mitwirken einer Reihe wertvoller menschlicher Eigenschaften wie Streben
nach Wissen und Entwicklung, Aufrichtigkeit, Verantwortungs- und Pflichtbewusstsein, Einsatz
und Engagement möglich geworden. Das heißt also nicht allein durch das „Gesetz“. Denn
Gesetze sind in den minder entwickelten Ländern Afrikas und Asiens ebenfalls anzutreffen,
dieweil Elend und Armseligkeit dort immer mehr um sich greifen und von Fortschnitt kaum die
Rede ist.
Was aber die „bittere Ernte“ angeht, die das menschliche Leben verfinstert und alle, auch die
fortschrittlichen Gesellschaften, dem Untergang zutreibt, so sind dafür Gegebenheiten
verantwortlich zu machen, die von einer kranken Moral herrührt, von Faktoren wie Eigensucht,
Profitgier, Neid, Missgunst, Begierde, Ungerechtigkeit, Rohheit, Grausamkeit, Skrupellosigkeit,
Hochmut, und dergleichen mehr.
Bei genauerem Betrachten der islamischen Weisungen stellen wir fest, das der Islam den
Menschen – genauer gesagt: die menschliche Gesellschaft – aufruft, die zuerst genannten, das
heißt ihre positiven Eigenschaften zu fördern und die negativen abzubauen bzw. auszumerzen.
Ganz generell gebietet er all das, was gut und recht und den Menschheit zum Wohle ist und baut
darauf die „islamische Erziehung und Bildung“ auf.
Das aber, was Leben und Entwicklung der menschlichen Gesellschaft im Wege steht – auch
wenn es dem einen oder anderen Volk oder Stamm von „Nutzen“ sein sollte – verwirft und
untersagt er.
Was ist daraus zu schließen?
Erstens: Richtlinien und Weisungen des Islam sind weitaus optimaler und der menschlichen
Gesellschaft dienlicher als die „weltlichen“, d.h. der von Menschenhirn erdachten
Gesetzesordnungen und Vorhaltensvorschriften.
Im 30. Vers der Sure 30, Rum, lesen wir:
- 32 -
اسِ لَا يَعۡلَمُونَ _ ثَرَ ٱلن u ن أَ ۡ _ يمُ وَلَٰكِ + نُ ٱلۡقَ JK+ ٱ £ ذَٲ َِ Iِ _ ٱ
So halte dich an Gottes Weisungen. Das ist der rechte Weg9. Nur die meisten begreifen es
nicht!
Zweitens: Die positiven, erfreulichen Resultate der heutigen Zivilisation haben ihren eigentlichen
Ausgangspunkt in den segensreichen Ergebnissen des Islam. Sie sind das Resultat dessen, was
beispielsweise dem Westen – und zwar durch den Segen des Islam – in die Hände fiel. Vergessen
wir nicht, dass dem Islam vor vielen Jahrhunderten schon, lange bevor sich die westliche
Zivilisation anbahnte, die menschliche Gesellschaft zu seinen wertvollen Maximen einlud. Das
Abendland war es dann, das den Segen, der von diesen ethischen und lebensnahen Weisungen
ausging und jene erstaunliche Entfaltung in der islamischen Welt bewirkt hatte, erkannte, nutzte
und den Muslimen daraufhin sogar – hinsichtlich Ordnung, Genauigkeit, Streben nach Wissen
und Fortschritt – „voraneilte“.
Als Amir al Mu’minan (a.s.) im Sterben lag, sagte er zu den Muslimen:
Es möge verhütet sein, das ihr so säumig und nachlässig seid, dass die anderen euch
voraneilen und die koranischen Weisungen optimaler nutzen als ihr...
Drittens: Gemäß koranischem Wort hat die Moral – die ethische Gesinnung – das Hauptanliegen
und jene Basis zu sein, auf der Gesetze aufgebaut werden. Denn wenn erstere in den Hintergrund
gerückt bzw. vergessen wird, wird auch die Gesetzgebung lediglich materielle Momente
berücksichtigen und die Gesellschaft nach und nach ebenfalls nur materiellen Dingen und
Belangen Interesse schenken. Ethisches bzw. geistig-geistliches Denken und Orientiertsein, das
den Menschen über das Tier hinaushebt, wird ihm abhanden kommen. Sie wird zu einem
„reißenden Tier“ und gar schlimmer noch. Wird sich wie das Vieh nur noch für Weiden, Fressen,
Schlaf und derlei Dinge interessieren, weshalb Prophet Muhammad (s.a.s.) sprach:
لاق % D بعثت لاتمّم مكارم
Mein Hauptanliegen gilt der ethischen Erziehung und Entwicklung des Menschen.
9 Die richtige Religion
- 33 -
3 Weltanschauliches
3.1 Die Frage nach dem Schöpfer
Aufgrund seines ihm von Gott gegebenen natürlichen Strebens fragt der Mensch nach dem „Wie“
und „Warum“ aller Erscheinungen, Dinge, Gegebenheiten und Vorgänge, die er wahrnimmt. Das,
was um ihn und in ihm ist, will er ergründen. Über ihre Entstehung, Beschaffenheit und ihren
Sinn und Zweck möchte er Kenntnis erhalten. Er fragt nach Grund und Ursache. Und dass er
fragt und ergründen will, gehört zu seinen menschlichen Besonderheiten, zu seinem Mensch-
Sein. Niemals geht er allen Ernstes davon aus, dass etwas aus sich selbst, ohne Grund und
Ursache – rein zufällig – entstanden sein könnte.
Ein Autofahrer, dessen Wagen mit einem Male stehen bleibt, steigt aus und schaut überall dort
nach, wo er die Ursache zu dem plötzlichen Stillstand seines PKWs vermutet. Und wenn er ihn in
Gang setzt, macht er von den technischen Dingen, die zur lnbetriebnahme des Wagens
vorgesehen und installiert wurden, Gebrauch. Nie und nimmer setzt er sich hinters Lenkrad in der
Hoffnung, der Wagen würde nun ganz von allein, ohne sein (des Autofahrers) Zutun, losfahren.
Ist der Mensch hungrig, beschafft er sich Brot und isst. Und wird er durstig, sorgt er dafür, dass
er zu trinken bekommt. Wird ihm kalt, zieht er sich wärmer an. Niemals verfällt er auf den
Gedanken, das sich die Dinge von allein regeln.
Will zum Beispiel jemand ein Haus bauen, so weiß er, dass er dazu Baumaterialien, Maurer und
Handwerker benötigt. Er weiß: Es ist ein Ding der Unmöglichkeit, das das Haus aus sich selbst
entsteht.
Seitdem der Mensch auf Erden weilt, sind Berge, Wälder und Meere um ihn herum. Seit alters
her sieht er Mond und Sterne über sich, die in geordnetem Lauf ihre Bahn ziehen und die
leuchtende Sonne, die am Tage seine Umwelt erhellt, des Nachts aber für ihn nicht zu sehen ist.
Und immer fragten und forschten Wissenschaftler und Gelehrte nach Grund und Ursache des
Entstehens bzw. Daseins der Dinge auf Erden und im All. Niemals aber begnügten sie sich damit,
zu sagen:
Seitdem der Mensch existiert, waren sie da. Wir gehen davon aus, dass sie ganz von selbst, rein
zufällig, ohne Grund und Ursache entstanden sind...
Dieser „instinktive“ Wunsch, zu ergründen, dieser natürliche Wissensdrang, nach der Ursache
aller Dinge zu forschen, veranlasst den Menschen, sich auch um die Klärung der Frage nach den
Entstehung der Welt und der erstaunlichen Ordnung und Harmonie in ihm zu fragen. Danach, ob
die Dinge und Erscheinungen in diesem weiten Universum, die alle irgendwie miteinander in
Bezug stehen und ein riesiges Seins-Ensemble, eine gewaltige Gesamtheit bilden, ganz von allein
entstanden sein können oder aber nicht viel eher in einem „Urgrund“ ihre Ursache und ihren
Ausgangspunkt haben?! Das heißt, aus einem anderen Sein Existenz erhalten!! Ob diese
wunderbare Schöpfungsordnung, die nach konstanten Gesetzen im gesamten Kosmos wirksam
und deren Dasein überall festzustellen ist..., ob ein jedes, das ist und in die Richtung seines
- 34 -
eigenen spezifischen Zwecks und Ziels dirigiert wird, von einer allwissenden und allmächtigen
Kraft erschaffen wurde und erhalten wird oder aber aufgrund eines Zufalls entstand und
existiert?!